Bei der Weinrebe ist nur die Gattung (Genus) Vitis für den Weinbau von Bedeutung. Die Gattung Vitis teilt sich in die zwei Untergattungen (Subgenus) Vitis subg. Euvitis (mit 60 Arten) und Vitis subg. Muscadinia (mit 1 Art). Nach dem geographischen Vorkommen wird die Vitis subg. Euvitis in eine europäische, asiatische und amerikanische Gruppe gegliedert. Letztere ist die Bezeichnung für alle aus Nordamerika stammenden Wildreben mit rund 30 Unterarten (Sub-Spezies).
Genaugenommen müssten die Unterarten (Spezies) in zum Beispiel der Form Vitis vinifera subspez. labrusca oder Vitis vinifera subspez. riparia bezeichnet werden. Bei der Abstammungs-Angabe von Rebsorten werden aber verkürzte Begriffe wie zum Beispiel Vitis labrusca oder Vitis riparia verwendet. Eine speziell für den Europäergaumen negatives Eigenschaft einiger Amerikaner-Reben sind Erdbeeraroma und Foxton. Besonders trifft dies auf die Vitis labrusca und Vitis rotundifolia zu. Die wichtigsten amerikanischen Unterarten (Sub-Spezies) der beiden Untergattungen (Sub-Genus) sind:
Die erste Vitis-Untergattung Vitis subg. Vitis besteht bei der amerikanischen Gruppe aus 30 Unterarten (Sub-Spezies). Diese besitzen wie auch jene der europäischen und asiatischen Gruppe 19 Chromosomen-Paare (2 x 19 = 38). Deshalb sind Kreuzungen aller 60 Unterarten der drei Gruppen untereinander problemlos möglich und werden auch bei vielen Neuzüchtungen praktiziert.
Die zweite Vitis-Untergattung Vitis subg. Muscadinia hat eine andere DNA-Struktur mit 20 Chromosomenpaaren (2 x 20 = 40). Es gibt nur eine Muscadinia-Spezies (mit drei Varietäten), deren korrekter Name Muscadinia rotundifolia lauten müsste. Sie wird aber zumeist als Vitis rotundifolia bezeichnet. Muscadinia spielt zwar für die Weinerzeugung keine besondere Rolle, ist aber auf Grund ihrer Resistenz gegen Reblaus und Nematoden für die Züchtung neuer Rebsorten und Unterlagen interessant und begehrt. Die unterschiedlichen Chromosomen bedeuten bei Kreuzungen große Probleme.
Amerikanische Wildarten sind im Weinbau deshalb bedeutend, weil sie Resistenzen (Widerstandsfähigkeiten) gegen aus Amerika nach Europa eingeschleppte Krankheiten und Schädlinge aufweisen. So sind viele amerikanische Wildarten (Vitis riparia und besonders Vitis cinerea) an ihren Wurzeln resistent gegen die in Amerika heimische und ab Mitte des 19. Jahrhunderts nach Europa eingeschleppte Reblaus. Zudem weisen die Wildarten natürliche Resistenzen gegen die ebenfalls aus Amerika stammenden Schadpilze Echter und Falscher Mehltau auf. Diese Reblausresistenz der Wurzeln wurde gegen die sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts rasant in Europa ausbreitende Reblaus genutzt. Bei der Veredelung werden europäische Edelreiser auf amerikanische Unterlagen aufgepfropft. Alle nicht veredelten, wurzelechten Reben bezeichnet man als Direktträger.
Das Mehltauproblem versucht man durch Kreuzungszüchtung zu lösen, indem man pilzresistente Wildarten mit pilzanfälligen europäischen Rebsorten kreuzt. Das Ergebnis dieser interspezifischen Kreuzungen sind Hybriden. Diese Primärhybriden weisen zwar häufig eine hohe Pilzresistenz auf, jedoch wurde vielfach auch der unerwünschte Foxton der Wildarten weitervererbt. Viele Hybriden und Unterlagen wurden um die Jahrhundertwende von berühmten französischen Züchtern wie Georges Couderc (1850-1928) und Christian Oberlin (1831-1915) gezüchtet, weshalb man diese Sortengruppe „französische Hybriden“ nennt:
Die ursprünglich in Amerika gekreuzten und nach Europa eingeführten Sorten nennt man „amerikanische Hybriden“. Verschiedene amerikanische Wildarten werden untereinander gekreuzt, um Unterlagen zusätzlich zu einer hohen Resistenz gegen Reblaus und Mehltauarten auch mit guter Eignung für möglichst viele verschiedene Standorte und Bodentypen zu erzeugen. Zu den wichtigsten historischen Sorten Amerikas zählen unter anderem Alden, Alexander, Blanc Du Bois, Carlos, Catawba, Clinton, Concord, Delaware, Isabella, Niagara White, Noah, Norton, Scuppernong, Steuben und Taylor sowie die als erste in Amerika eingeführte europäische Vitis Vinifera-Rebe Misión oder Mission (Listán Prieto):
Amerikaner-Reben werden auch heute noch in vielen US-Staaten angebaut und wegen ihrer Pilzresistenz in ganz Südamerika, Japan, Kanada und ehemaligen Ostblockstaaten kultiviert. Innerhalb der Europäischen Union ist die Verwendung von reinen Amerikaner-Reben für die Produktion von Qualitätsweinen und die weitere Auspflanzung untersagt. In Europa werden aber heute für die Neuzüchtung von PIWI-Sorten (pilzwiderstandsfähig) vermehrt amerikanische Spezies verwendet.
Siehe zu diesem Themenkomplex auch unter DNA, Chromosom, Asiaten-Reben, Europäer-Reben, Rebenstammbaum, Reben-Systematik und Taxonomie sowie Aufstellungen relevanter Stichwörter unter Rebfläche und Weinrebe.
Graphik: von Norbert F. J. Tischelmayer
Rebsorten: Ursula Brühl, Doris Schneider, Julius Kühn-Institut (JKI)
Das Glossar ist eine monumentale Leistung und einer der wichtigsten Beiträge zur Vermittlung von Weinwissen. Unter all den Lexika, die ich zum Thema Wein verwende, ist es mit Abstand das wichtigste. Das war vor zehn Jahren so und hat sich seither nicht verändert.
Andreas Essl
Autor, Modena