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Lexikon
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Biodynamischer Weinbau

biodynamique viticulture (F)
viticultura biodinámica (ES)
biodynamic viticulture (GB)
viticultura biodinamica (I)
viticultura biodinâmico (PO)

Auch als Biologisch-Dynamischer Weinbau bezeichnete Produktionsform für die Herstellung von Trauben und Wein (Grundsätze und allgemeine Informationen sind unter Biologischer Weinbau beschrieben, dessen Studium als Einstimmung auf die komplexe Thematik auch empfohlen wird). Sie geht auf den österreichischen Anthroposophen Rudolf Steiner (1861-1925) zurück. Dieser studierte Mathematik, Naturwissenschaften, Philosophie, Literatur und Geschichte in Wien. Steiner stellte in den 1920er-Jahren Regeln für einen „biologisch-dynamischen Landbau“ zum Gedeihen der Landwirtschaft auf und propagierte diese durch zahlreiche Vorträge. Die Kernaussage seiner Philosophie lautet, dass die Krankheit einer Pflanze das Zeichen eines natürlich gestörten Gleichgewichts sei und auf den Einsatz von chemischen Hilfsmitteln bei der Düngung zurückzuführen ist. Zunächst entwickelte sich die Biodynamik in der Landwirtschaft und im Gartenbau, Weinbau kam erst später hinzu.

Biodynamischer Weinbau Verbände - Logos von DEMETER, Biodyvin, respekt BIODYN

Biodynamik-Prinzipien

Beim biodynamisch orientierten Weinbau werden verschiedene Maßnahmen des Biologischen Pflanzenschutzes bzw. Integrierten Pflanzenschutzes in sehr strenger Form angewendet. Das gesamte Ökosystem und deren natürlichen Ressourcen werden geschont und die Lebensprozesse im Zusammenwirken irdischer und kosmischer Kräfte gezielt gefördert. Das Hauptaugenmerk gilt den Arbeiten im Weinberg. Der Rebschnitt, das Düngen, das Jäten und auch die Ernte richten sich nach einem Aussaatkalender. Der Boden sollte zumindest einmal im Jahr gepflügt werden, wenn möglich mit Pferdegespann und nicht mit Traktor. Er ist mit Kompost zu revitalisieren und mit Mineralien zu behandeln, damit er wieder zum Lebensraum vielfältiger Mikroorganismen mit natürlichem Gleichgewicht wird. Die Biodiversität (Erhaltung der Artenvielfalt) und Nachhaltigkeit (Nutzung von regenerierbaren lebenden Ressoucen) spielen eine große Rolle.

Biodynamischer Weinbau -  Weingut Dr. Bürklin-Wolf (Wachenheim/Pfalz) - Pferde im Weinberg

Zusätzlich zu den Methoden des Biologischen Weinbaus wird zur Stärkung der Naturkräfte der Weinrebe und zur Aktivierung der Lebensvorgänge im Boden der Einsatz spezieller Mittel vorgeschrieben. Eine zentrale Rolle als Düngemittel spielt dabei das Horn von Rindern, das in Verbindung mit anderen Stoffen wie Kuhdung oder Quarzstaub in geringsten, homöopathischen Dosen (nur wenige Gramm/Hektar) verwendet wird. Es werden Pflanzenstärkungsmittel mit widerstandsfördernder Wirkung gegen Schadorganismen verwendet. Zum Beispiel sind Aufgüsse von Kräutern oder getrocknete Kräuter sehr positiv für die Rebe. Brennnesseln sorgen für Ausgewogenheit und Harmonie im Weingarten. Dabei sind immer kosmische Kräfte wie die Mondphasen und auch andere Gestirns-Konstellationen zu berücksichtigen. Speziell aber jene des Mondes beeinflussen gemäß Biodynamik-Lehre maßgeblich die Entwicklung der irdischen Pflanzen.

Wirkung der Biodynamik

Der Schweizer Journalist Andreas Heller im NZZ-Folio (Zeitschrift der Neuen Zürcher Zeitung) hat anschaulich die Wirkung der Biodynamik beschrieben: Just am Tag des herbstlichen Äquinoktiums begann auf dem Weinbaubetrieb der Familie Cruchon in Echichens bei Morges (Bereich La Côte im Kanton Waadt) eine neue Epoche. Michel Cruchon füllte sechs Kuhhörner mit Kuhdung und vergrub sie in der Erde seines besten Rebbergs. Sechs Monate, bis zur Tagundnachtgleiche im nächsten Frühjahr, ließ er die Hörner in der Erde ruhen, und als er sie wieder ausgrub, roch der Kuhdung so scharf, dass Cruchon die Hörner am liebsten weggeworfen hätte. Doch er tat, wie es ihm sein Lehrmeister, François Bouchet, befohlen hatte: Er löste den Dung im lauwarmen Wasser auf und verrührte die Brühe in einem runden Behälter, zuerst im Uhrzeigersinn, bis ein Wirbel entstand, dann gegen diesen, 20 Minuten lang.

Dann wurde die Flüssigkeit tröpfchenweise über den Rebberg versporüht, und zwar am späten Nachmittag, beim Schwinden der Sonne. Nur 120 Gramm von diesem „dynamisierten“ Kuhdung, so hatte man ihm gesagt, würden genügen, um auf einem Hektar das Wurzelwachstum der Reben positiv anzuregen. Der Kuhhorndung ist nur eines von vielen Präparaten des biodynamischen Weinbaus, die Cruchon nun schon seit einiger Zeit benutzt. Quarzstaub, der über den Sommer in einem Kuhhorn im Boden vergraben war und danach in dynamisiertem Wasser aufgelöst wird, soll bereits ab einer Konzentration von vier Gramm pro Hektar die Rebenblätter bei der Photosynthese unterstützen und für eine tiefere Farbe des Weins sorgen. Aufgüsse von Kräutern tun der Rebe ebenfalls nur Gutes. Brennnesseln zum Beispiel sorgen im ganzen Weinberg für Ausgewogenheit und Harmonie.

Wie ist dieses außergewöhnliche Phänomen zu erklären? Ich bin kein Esoteriker, stellt Michel Cruchon klar: Ich habe mein Handwerk von der Pike auf gelernt. Ich kann Ihnen sagen, wie Pestizide wirken. Die Biodynamik hat mich jedoch vor allem das Staunen gelehrt. Längst nicht alles ist erklärbar. Aber die Resultate sind eindeutig. Cruchon zeigt einen traditionell bewirtschafteten Rebberg. Der Boden ist kahl, die Reben sind hoch aufgeschossen, reich an fleischigen Blättern, mit dicken Trauben behangen. Gleich daneben einige nach neuer Methode gepflegte Rebzeilen. Der Boden mit Gräsern und Kräutern bewachsen, die Reben knorrig, licht das Blattwerk und die Früchte klein und prall. Zweimal die gleiche Pflanze, zwei Konzeptionen der Landwirtschaft: dort die auf Ertrag getrimmte Monokultur, hier die Nutzpflanze, eingebettet in ihre natürliche Umgebung. Und entsprechend unterschiedlich sind die Weine.

Die konventionellen Produkte sind leicht und eher unverbindlich, die biodynamischen vielschichtiger, kräftig und konzentriert. Es sind Weine mit starkem Terroir. Durchgeführt wurden auch „sensible Kristallisationen“, mit denen Biodynamiker die Vitalität einer Pflanze prüfen. Ein Gemisch aus dem Pflanzensaft (in diesem Fall Wein) und einer Kupferchlorid-Lösung wird in eine Petrischale gegeben und das Ergebnis der Kristallisation abgewartet. Ist die Vitalität des Produkts erloschen, trocknet die Kupferchloridlösung aus und hinterlässt einen amorphen (formlosen) Fleck. Besitzt das Analyse-Material jedoch seine volle Vitalität, ordnen die lebendigen Kräfte das Kupferchlorid zu einem Gebilde, das an Eisblumen erinnert. Der biodynamische Wein zeigt eine erhöhte Vitalität, seine Kristallisation ist feiner und hält bis zu fünf Tage an, während konventioneller Wein vorher zu zerfallen beginnt. In den 1980er-Jahren ist der Begriff Natural Wine entstanden. Darunter sind Weine zu verstehen, die nach nichtinvasiven Grundsätzen mit möglichst wenig Eingriffen oft auf Basis von biodynamischen Methoden produziert werden.

Biodynamik-Guru Nicolas Joly

Als absoluter Guru und Pionier des Biodynamischen Weinbaus gilt der französische Loire-Winzer Nicolas Joly mit seinem Weingut Château de la Roche-aux-Moines und der berühmten Einzellage Coulée-de-Serrant. Er gründete den Biowinzerverein La Renaissance des Appellations. Er bekam durch Zufall die Schriften Steiners zu lesen und stellte ab Mitte der 1980er-Jahre seinen Betrieb konsequent um. Im Jahre 1997 veröffentlichte er über seine Erfahrungen das Buch „Le vin - du ciel à la terre“ (Beseelter Wein, Hallwag Verlag), und initiierte damit im modernen Weinbau eine weltweite Bewegung, die mittlerweile auch die Weingebiete der Neuen Welt erreicht hat. Er schreibt:

Die moderne Landwirtschaft, die immer mehr ausschließlich nach quantitativen und kommerziellen Gesichtspunkten ausgerichtet ist, führt in eine Sackgasse. Sie macht die Böden kaputt, vergiftet die Nahrung, tötet die Vielfalt und den Geschmack. Das Paradox der modernen Landwirtschaftslehre und der Wissenschaft besteht darin, dass man zwar sehr viel weiß, aber kaum verstanden hat, wie das alles miteinander zusammenhängt.

Biodynamik-Verbände & Produzenten

Ältester weltweit agierender Biodynamik-Bioverband ist der im Jahre 1924 gegründete DEMETER. Bekannte Produzenten mit  zertifiziertem biodynamischem Weinbau sind die Weingüter Chapoutier (Rhône), Christmann Arnold (Pfalz), Colomé (Argentinien), Dirler-Cadé (Elsass), Didier Dagueneau (Loire), Domaine Gauby (Roussillon), Domaine Leroy und Domaine de la Romanée-Conti (Burgund), Dr. Bürklin-Wolf (Pfalz), Ellwanger Jürgen (Württemberg), Fetzer mit Bonterra (Kalifornien), Kühn Peter Jakob (Rheingau), Meinklang - Weingut Michlits, Nikolaihof, Weninger Franz und Wimmer-Czerny (Österreich) sowie Wittmann Philipp (Rheinhessen). Weitere Verbände sind BIODYVIN und respekt-BIODYN.

Weitere Biomethoden

Als Weiterentwicklung des Biodynamischen Weinbaus wird manchmal der ähnlich orientierte, auf Grund von einzelnen Methoden wie zum Beispiel zwecks Qualitätssteigerung praktizierte Musikbeschallung im Weinberg und Keller jedoch ebenfalls nicht unumstrittene Bioenergetische Weinbau bezeichnet. Beide Produktionsformen werden aber in vielen Quellen häufig zusammengefasst und als Einheit betrachtet. Die dritte (zweite) wissenschaftlich unumstrittene Produktionsform ist der Biologische (Ökologische) Weinbau (siehe dort zahlreiche weiterführende Informationen).

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Sigi Hiss

Es gibt unübersichtlich viele Quellen im Web, bei denen man sich Wissen über Wein aneignen kann. Doch keine hat den Umfang, die Aktualität und die Richtigkeit der Informationen des Lexikons von wein.plus. Ich benutze es regelmäßig und verlasse mich darauf.

Sigi Hiss
freier Autor und Weinberater (Fine, Vinum u.a.), Bad Krozingen

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