Blätter sind die Energiekraftwerke der grünen Pflanzen und neben den Wurzeln die wichtigsten Ernährungsorgane. Beim Rebstock bilden sie sich so wie die Augen (Sommer- und Winteraugen), Ranken und Blütenstände (Gescheine bzw. spätere Trauben) als seitlicher Auswuchs an den Nodien (Knoten) junger wachsender Triebe. Während die Triebspitze in die Länge wächst, zweigen sich laufend neue Blätter ab, die sich sortenspezifisch entwickeln. Mit Hilfe der Blattpigmente wie Chlorophylle, Carotinoide und Flavonoide wird die Lichtenergie der Sonne von den Blättern absorbiert und während der Photosynthese unter Verwendung von Kohlendioxid und Wasser in energiereiche Glucose (Traubenzucker) und Sauerstoff umgewandelt. Das dafür notwendige Kohlendioxid wird aus der Luft durch die Stomata (Spaltöffnungen) meist an den Blattunterseiten aufgenommen. Durch diese kleinen Spaltöffnungen entweicht der tagsüber produzierte Sauerstoff nach außen.
Auf Grund des Wasserdampf-Sättigungsdefizits der Luft verliert jede Pflanzenzelle ständig Wasser, das nach außen hin in die Luft abdampft. Dieser komplexe Vorgang wird als Transpiration bezeichnet (die Verdunstung von Wasser auf unbewachsenen bzw. freien Land- oder Wasserflächen hingegen nennt man Evaporation). Der ständige Verlust wird durch Nachlieferung von Wasser durch die Wurzeln aus dem Erdreich ausgeglichen, so dass ein ständiger Wasserstrom durch die Pflanze stattfindet. Dieser Transpirationssog erlaubt es, dass mineralische Nährstoffe in der Bodenlösung aus der Wurzel überhaupt nach oben in die Pflanze transportiert werden können. Bei 100% relativer Luftfeuchtigkeit und Wasserdampf-Sättigung der Luft wird Wasser nicht mehr physikalisch verdunstet. Für solche Fälle kann ein langsamer Wasserstrom über aktive energiezehrende Pumpbewegungen in den Wurzeln (Wurzeldruck) und eine tröpfchenweise Wasserabgabe über spezielle Poren aufrechterhalten werden. Diesen osmotischen Druck nennt man Guttation (Ausscheidung überschüssigen Wassers).
Als Blattachsel bezeichnet man den Winkel zwischen Sprossachse und dem davon abzweigendem Blatt. Die Ansatzstelle des Blattstiels am Knoten heißt Blattgrund. Am Blattstiel (Petiolus) sitzt die Blattspreite (Lamina = Blattfläche). Je nach Rebsorte kann der Blattrand ungeteilt, gekerbt oder gebuchtet sein. Durch stärkere Buchtung ergeben sich drei-, fünf- oder siebenlappige Blätter. Die Blattspreite wird von fünf Hauptnerven (Rippen) durchzogen, die sich in Seitennerven und davon abgehende netzförmig verbundene Adern verzweigen. Durch Letztere wird jede Zelle des Blattgewebes mit Nährstoffen und Wasser versorgt und der produzierte Zucker zu den Weintrauben transportiert. Die Blätter sind neben den Weintrauben ein guter Indikator für den Gesundheits-Zustand des Rebstocks. Krankheiten, Mangel an Nährstoffen und Schädlingsattacken zeigen sich als Gallen und Nekrosen, sowie durch Verfärbung oder Vergilbung (siehe auch unter Blattkrankheiten).
An allen Knoten (Nodien) eines Triebes befindet sich je ein Blatt. Die Blätter sind wechselständig, das heißt abwechselnd links und rechts angeordnet. In jeder Blattachsel bildet sich ein Sommer- und ein Winterauge. Das Sommerauge treibt bereits während des Sommer aus und bildet einen Geiztrieb. Das Winterauge aber treibt erst im folgenden Frühjahr aus und bildet dann den neuen Sommertrieb. An jeweils zwei aufeinander folgenden Blättern befindet sich auf der dem Blatt (und den beiden Augen) gegenüberliegenden Seite eine Ranke, wobei in der Regel das jeweils dritte Blatt rankenfrei ist. Auf den untersten Knoten des Triebes gibt es keine Ranken. Im oberen Bereich sind einige Ranken durch Blütenstände (Gescheine) ersetzt. Die Ranken und die Gescheine sind sich vom Aufbau her sehr ähnlich, so dass es auch Mischformen der beiden geben kann.
Die sortenspezifische Morphologie des Blattes ist ein wichtiges Kriterium zur Identifizierung von Rebsorten. Blattgröße (Hand- bis Tellerumfang), Blattform, Lappenzahl, Tiefe der Buchtung, Öffnungsweite der Stiel- und Blattseitenbuchten, Art und Dichte der Zähnung, Dichte der Behaarung und Beborstung sind wichtige Bestimmungs-Merkmale im Rahmen der Ampelographie. Die Verwendung ampelometrischer Kriterien wie die Öffnungsweite der Blattwinkel zwischen den Hauptnerven und andere messbare Merkmale wurde vom Ampelographen Hermann Goethe (1837-1911) erstmals 1876 angeregt. Vor den DNA-Analysen war die visuelle Bestimmung von Rebsorten anhand morphologischer Sortenmerkmale die einzige, jedoch ausreichende und bis heute schnellste und billigste Methode. Mit dem Blattfall im Spätherbst endet der jährliche Vegetationszyklus des Rebstocks. Mit verschiedenen Laubpflege-Maßnahmen wird die Blattproduktion reguliert. Siehe auch eine Aufstellung unter Weinrebe.
Graphik: entnommen aus Bauer/Regner/Schildberger, Weinbau,
ISBN: 978-3-70402284-4, Cadmos Verlag GmbH
Herbstlaub: by Wildfeuer - Self-photographed, CC BY 2.5, Link
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Dominik Trick
Technischer Lehrer, staatl. geprüfter Sommelier, Hotelfachschule Heidelberg