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Chimäre

chimera (GB)
quimerismo (ES)
chimère (F)
chimaera (N)
chimera (I)
quimerismo (PO)

Bezeichnung (Chimaera = Mischwesen) in Medizin und Biologie für einen Organismus, der aus genetisch unterschiedlichen Zellen bzw. Geweben aufgebaut ist und dennoch ein einheitliches Individuum darstellt. In der griechischen Mythologie bedeutet dies eigentlich „Ziege“; Homer (geb. 850 v. Chr.) beschreibt die Chimaira in der Ilias als feuerspeiendes Mischwesen, das vorne wie ein Löwe, in der Mitte wie eine Ziege und hinten wie eine Schlange oder ein Drache gebildet sei. Das bekannteste Beispiel für solche Mischwesen ist die ägyptische Sphinx bei den Pyramiden von Gizeh; ein Löwe mit Menschenkopf. 

Chimäre - Sphynx und Rebstock

Bei Pflanzen kann eine Chimäre auch mittels menschlichen Eingriff künstlich wie zum Beispiel eine Veredelung durch Vereinigung von zwei verschiedenen Gewächsen (Unterteil = Wurzelstock und Oberteil = Edelreiser) herbeigeführt werden. Im Weinbau sind somit alle veredelten Rebstöcke als mesoklinale Chimären zu verstehen. Auf natürliche Art und Weise entstehen Chimären durch Mutation, bei der sich Zellen von mindestens zwei genetisch verschiedenen Zygotenlinien (diploide Zellen) herleiten. Das häufig vorkommende Phänomen ist von Zierpflanzen bekannt, wo sektorale Chimären mit mehrfarbigen Blütenblättern oder länglich gestreiften, weiß-grünen oder purpur-grün-weißen Laubblättern auftreten. Hingegen sind periklinale Chimären Pflanzen, deren außen liegendes Epidermisgewebe durch Mutation vom Genotyp der inneren Zelllinien abweicht, wobei die Mutationen in beiden Zelllinien unabhängig voneinander und an verschiedenen Genorten auftreten. 

somatische Chimären/Mutationen

Vor allem bei alten, weit verbreiteten und vielfach vegetativ duplizierten Sorten sind somatische Chimären der Normalfall, denn bereits mit der Ausdifferenzierung des Embryos im Samen wurden die beiden Basiszelllinien L1 (Epidermiszellen) und L2 (innere Zellen) räumlich voneinander getrennt und konnten so über Jahrhunderte voneinander unabhängig mutieren. Bei uralten Sorten wie Pinot und Traminer (siehe dort im Detail) haben sich so durch Mutationen zahlreiche somatische Chimären ausbilden können, die sich genotypisch an einem, mehreren oder allen vier möglichen Allelen eines Genortes unterscheiden können. Diese werden auch als Spross- oder Knospenmutationen bezeichnet, weil aus den Knospen durch Zellteilung der mutierten Stammzellen ein ganzer neuer Trieb mit den veränderten bzw. neuen somatischen und damit sichtbaren Eigenschaften wächst.

Chimäre - Tressot Panaché und Pinot Meunier

periklinal, meriklinal und sektoral

Beim Rebstock kann sich eine periklinale Mutation in der Epidermislinie L1 zum Beispiel durch eine stärkere Behaarung äußern wie bei den zwei Sorten Pinot Meunier (Schwarzriesling) oder Garnacha Peluda (Lladoner Pelut). Es gibt auch so genannte meriklinale Chimären wie den Pinot Gris, an dessen grauen Trauben Fruchtäste mit weißen Beeren auftreten können. Die Tressot Panaché ist eine klassische sektorale Chimäre mit weißen und blauen Sektoren auf der Haut einzelner Beeren, die entweder weiß, blau oder in Sektoren weiß-blau-gestreift auftreten. Die meisten Mutationsereignisse sind jedoch äußerlich nicht oder nur graduell erkennbar. Es kann sich zum Beispiel um eine leichte Verkürzung der Reifeperiode, um eine dunklere Beerenfarbe oder einen intensiveren Geschmack handeln. Zur Fixierung einer solchen Klonmutante gehört die vegetative Vermehrung des mutierten Axillartriebs zu einem eigenständigen und weitervermehrten Rebstock. Die meisten Klone des Pinot Noir haben sich nach genaueren Analysen als periklinale Chimären herausgestellt, was zu erwarten war, denn es ist extrem unwahrscheinlich, dass ein spontanes Mutationsereignis in beiden Zelllinien an derselben Stelle des DNA-Strangs auftritt.

Klonmutanten

Bei solchen genotypisch charakterisierten und unterscheidbaren Klonvarianten sollte man besser von Klonmutanten sprechen, denn ein Klon im strengen Sinn ist ja zunächst nur eine Kopie des Originals, die sich erst durch Mutationen zu einem differenzierbaren Klon im weinbaulichen Sinn entwickelt. Da sich Adventivknospen und Wasserschosse nur aus den Zelllinien der L2-Schicht entwickeln, können sich somatische Chimären ohne zusätzliche Mutationsereignisse verändern, allein durch vegetative Vermehrung aus Adventivsprossen. Die daraus hervorgehenden Pflanzen weisen dann nur noch die Mutationsgeschichte der L2-Zelllinie auf. Zusammengefasst kann man also sagen, dass eine Chimäre immer aus einer Mutation entsteht. Man kann aber nicht jede Mutation als Chimäre bezeichnen, wobei dies allerdings dies beim Rebstock die Regel darstellt. Siehe zum Themenkomplex auch unter den Stichwörtern DNA und Molekulargenetik.

Sphynx Gizeh: Von Berthold Werner - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, Link 
Graphik Unterteil/Oberteil: Bauer/Regner/Schildberger,
Weinbau, ISBN: 978-3-70402284-4, Cadmos Verlag GmbH
Weintrauben: Ursula Brühl, Doris Schneider, Julius Kühn-Institut (JKI)

Stimmen unserer Mitglieder

Dominik Trick

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Dominik Trick
Technischer Lehrer, staatl. geprüfter Sommelier, Hotelfachschule Heidelberg

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