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Erziehungsform

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Die Erziehungsform in einem Weingarten ist ein wesentlicher Faktor bezüglich der gewünschten Ertragsmenge und der Weinqualität. Besonders beim Anlegen einer neuen Rebfläche oder einer Neuorganisation der Bewirtschaftung, wie zum Beispiel bei einer Umstellung auf Biologischen Weinbau, sind die dafür erforderlichen Maßnahmen zu entscheiden. Der planmäßige Aufbau einer Rebfläche bzw. das Pflanzen von Rebstöcken unter Einhaltung aller Gesetze, Beachtung aller Kriterien und die erforderlichen Maßnahmen sind detailliert unter dem Stichwort Rebenaufbauplan beschrieben.

Begriffsdefinition

Es gibt eine Fülle von verschiedenen Erziehungsformen, um ganz gezielt den Wuchs der Weinrebe zu lenken. Der Rebstock ist eine Kletterpflanze (Liane), die sich nicht selbst aufrecht halten kann und daher eine Kletterhilfe oder Trägerstruktur benötigt. Die Wildreben ranken sich zumeist an jungen Bäumen hoch und wachsen mit diesen in die Höhe. Für eine längere Bewirtschaftung und zwecks möglichem Einsatz von Maschinen müssen die Rebstöcke ihre Form behalten und dürfen nicht (was sie tun würden) immer höher wachsen. Der Mensch hat deshalb schon vor Tausenden Jahren begonnen, die Triebe zu kürzen und künstliche Unterstützungs-Einrichtungen wie Pfähle bzw. Stickel, Gestelle und Latten mit gespannten Schnüren oder Drähten zu verwenden. Eine entscheidende Maßnahme in der Winterpause des Vegetationszyklus ist der Rebschnitt, bei dem das einjährige Holz beschnitten wird. Mit jährlichen Maßnahmen (Winterschnitt, Sommerschnitt und Laubpflege) wird den Auswirkungen der Apikaldominanz entgegengewirkt, um das gewählte System auch zu erhalten.

Historische Systeme

Aus bildlichen Darstellungen ist belegt, dass schon die Ägypter bewusst Reben zur Weinerzeugung gezogen haben. Ein bekanntes Beispiel ist das vom Grab des Chaemwese in Theben um 1450 v. Chr. Es werden verschiedene Weinbereitungs-Schritte wie die Traubenlese und das Vergären in Behältern, sowie die Beladung eines Schiffes mit Amphoren dargestellt. Die im Bild gezeigte baldachinförmige Überkopf-Erziehungsform ähnelt einem Pergola- bzw. Spaliererziehungs-System. Die meisten Funde stammen aus der Stadt Luxor in Oberägypten. Ein privates Weingut wird in Inschriften aus dem Grab des Metjen beschrieben, eines hohen Beamten in der 4. Dynastie (2620 bis 2500 v. Chr). Dieser besaß in Sakkara im Nildelta eine große Anlage mit Weingärten, die in der Inschrift beschrieben werden: Ein sehr großer Teich wurde angelegt, Feigen und Trauben wurden gepflanzt. Bäume und Trauben wurden in großen Mengen gepflanzt und es wurde sehr viel Wein daraus gemacht.

Wandmalerei im Grab des Chaemwese in Theben um 1450 v. Chr. mit Weinbaumotiven

Bei den Römern wurden auf vier Pfählen Balken gelegt, so dass eine Art Kammer entstanden ist. Diese historische Erziehungsart mit geschlossenem oder offenem Kammertbau war noch Anfang des 20. Jahrhunderts im deutschen Weinbau in der Pfalz verbreitet. Das Bild rechts zeigt eine mittelalterliche Darstellung von Arbeiten im Weingarten um das Jahr 1180. Es handelt sich offensichtlich um die damals wahrscheinlich in vielen Ländern weit verbreitete Form der Einzelpfahlerziehung.

Erziehungsform - Kammertbau und Arbeiten im Weinberg um 1180


Kriterien für die Erziehungsform

Die Kriterien für die Wahl der idealen Erziehungsform sind neben traditionellen Gepflogenheiten der Bodentyp, der gewünschte Ertrag, die klimatischen Verhältnisse, die Rebsorte mit deren Wüchsigkeit und Tendenz in die Höhe oder Breite zu wachsen, die leichtere Bekämpfung oder präventive Verhinderung von Rebstock-Krankheiten sowie Erfordernisse der Bewirtschaftung. Ein bestimmtes System ist auch oft weingesetzlich vorgeschrieben. In der Champagne sind nur vier bestimmte Erziehungssysteme sogar abhängig der Rebsorte zugelassen. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben sich die Erziehungsformen drastisch geändert. Im Vordergrund standen dabei Rationalisierung und die Erfordernisse einer mechanisierten Weingartenpflege.

Das Ziel aller Erziehungssysteme ist es, eine möglichst gute Laubwandstruktur zwecks Sicherung der gewünschten Qualität und Quantität, arbeitswirtschaftliche Vorteile zu erreichen und die vorhandenen Umwelt-Ressourcen optimal auszunützen. Für die Auswahl ist unter anderem auch entscheidend, ob Keltertrauben für eine Weinbereitung oder Tafeltrauben für den Veruehr produziert werden sollen und welches Ernteverfahren (manuell oder mechanisch) angewendet wird. Die einzelnen Erziehungsformen werden unter anderem nach der Höhe des Stammes, nach dem Abstand zwischen den Rebstöcken, nach der Art der Befestigung der neu wachsenden Fruchtruten oder auch nach dem Erfinder (wie z. B. Jules Guyot) benannt.

Bepflanzungsformen

Durch den winterlichen Rebschnitt wird festgelegt, wo und wie viele neue Triebe im Frühjahr aus den verbliebenen Winterknospen auswachsen, wovon sich die Gestalt des Rebstocks entwickelt. Bezüglich der Wahl des Erziehungssystems haben folgende Punkte Einfluss auf die Trauben- bzw. spätere Weinqualität:

Traubenzone

Die Höhe der Traubenzone ist ein Faktor für den Arbeitsaufwand und die Anfälligkeit für bestimmte Rebstock-Feinde. Je bodennäher, desto arbeitsaufwändiger wird die Pflege und umso eher können in regenreichen Gebieten Pilze auf die Weintrauben gelangen und vor allem Botrytis, Falscher Mehltau und Schwarzfäule verursachen. Ein Vorteil in nördlichen Gebieten ist eine frühere Reife. Die Traubenzone liegt zwischen 80 bis 130 Zentimeter und höher. Die Höhe hat Auswirkung auf die Exposition (den Winkel der Sonneneinstrahlung) und damit auf den Abstand zwischen den einzelnen Rebzeilen.

Laubwandstruktur

Das gewählte System soll eine gute Laubwandstruktur aufweisen. Möglichst viele Blätter sollen während des Tages dem direkten Sonnenlicht ausgesetzt sein. Bei im Schatten liegenden Blätter sinkt die Phototosyntheseleistung.

Stockabstand & Pflanzendichte

Der Stockabstand beträgt bei einer mittelhohen Erziehung 1,20 bis 1,50 Meter und die Zeilenbreite (Gasse, Reihe) ist 1,20 bis 1,50 Meter, seltener sogar bis 3 Meter breit. Bei einer hohen Erziehung liegen die Stämme bis drei Meter auseinander. Das Produkt aus Zeilenbreite und Stockabstand ergibt den Standraum pro Stock in m². Das ergibt dann Pflanzdichten von 2.600 bis 4.700 bzw. 1.900 bis 3.700 Stöcke pro Hektar. Bei einer Dichtpflanzung werden 6.000 bis 7.700 Stöcke je Hektar gesetzt. Es gibt aber auch ganz enge Pflanzungen mit weniger als einem Meter Zeilenabstand, was 10.000 bis 12.000 Stöcke je Hektar ergibt.

In der Regel wird bei der Pflanzung von Rebstöcken ein Steckling (Setzling) gepflanzt. Bei der eher seltenen Doppelstockpflanzung wird die Anzahl der Pflanzstellen halbiert und jede mit zwei Pflanzen nebeneinander in der Reihenrichtung besetzt. Es kann sich jeder Stock nur in eine Richtung entfalten, was beim Schnitt berücksichtigt werden muss. Im Prinzip kann dies bei fast allen Erziehungssystemen angewendet werden.

Einteilung der Systeme

Eine Gruppierung der vielen, aber oft sehr ähnlichen Systeme kann nach verschiedenen Gesichtspunkten erfolgen. Je nach manuellem Arbeitsaufwand unterteilt man in intensive (z. B. Lyra-Erziehung, Spaliererziehung) und extensive Systeme (z. B. Minimal Pruned Cordon Trained). Nach Art des Unterstützungsgerüstes unterteilt man in ohne Unterstützung (z. B. Kouloura) und mit Unterstützung. Bei Zweiteren erfolgt eine weitere Gruppierung nach der Verteilung der Triebe bzw. der Laubfläche, nach Art der Verteilung des angeschnittenen Fruchtholzes oder ob mit enger oder weiter Reihenentfernung mit dadurch unterschiedlich Rebstockdichte gearbeitet wird.

Vertikale und horizontale Systeme

Die Vertikalen Systeme (z. B. Spaliererziehung) sind bei weitem die häufigste Form. Die grünen Triebe werden mit mehreren Heftdrähten spalierförmig formiert. Je nach Höhe der erzogenen Stämme und der Laubwandgestaltung wird zwischen niederen (Stamm 20-50 cm, Gesamthöhe 1,3 m) und hohen (Stamm 1 m und höher, Gesamthöhe bis 2,3 m) Systemen unterschieden. Die Traubenzone ist in Bodennähe. Bei den Horizontalen Systemen (z. B. Pergola) werden die Triebe über die gesamte Fläche auf einem entsprechenden Gerüst verteilt.

Wuchsformen 

Bei den Freihängenden (hohen) Systemen (z. B. Sylvoz, MPCT, Vertiko) können sich die grünen Triebe zum Großteil oder vollkommen frei entfalten. Bei den Vertikalen und freihängenden Systemen wird ein Teil der Triebe vertikal geheftet und ein Teil ist freihängend (Sylvoz). Bei den Umkehrerziehungssystemen (z. B. Bockschnitt, Geneva Double Curtain) wird von oben nach unten statt von unten nach oben erzogen, Nach der Unterstützung bzw. dem Unterstützungsgerüst gibt es Pfahlunterstützung, Pfahlunterstützung mit Drahtrahmengerüst, Holzpfahl oder Holzrahmengerüst (z. B. Pergola, Einzelpfahlerziehung, Trierer Rad).

Bogenformen

Nach der Verteilung und Form des angeschnittenen Fruchtholzes gibt es eine Flachbogen-, Halbbogen-, Pendelbogen und Ganzbogenform (siehe dazu unter Bogen). Das kommt bei vielen Systemen zur Anwendung, zum Beispiel Geneva Double Curtain, Guyot, Kordon-Erziehung, Spaliererziehung und Vertiko.

Schnittformen

Bei den Erziehungssystemen mit Stamm und Kopf werden einjährige Triebe angeschnitten. Durch regelmäßiges Zurückschneiden verstärkt sich das Stammende und bekommt nach Jahren ein kopfähnliches Aussehen. Die Erziehungssysteme mit enger oder weiter Zeilenentfernung ergeben Bepflanzungsdichten mit unterschiedlicher Rebstockanzahl/Hektar. Es gibt enge (unter 1,8 m), normale (1,8-2,2 m) und weiträumige (2,5 m und mehr).

Grundformen

Man kann bei den vielfältigen Erziehungsformen in zwei große Gruppen unterscheiden. Das sind Erziehungssysteme ohne Unterstützungsgerüst (das sind Bodenerziehung und Buscherziehung) und die wesentlich größere Gruppe Erziehungssysteme mit Unterstützungsgerüst (mit unzähligen Varianten).

Boden- oder kriechend Erziehung

Die Reben werden ganz flach über den Boden ohne Unterstützung frei wachsend erzogen. Die Triebe können vier bis sechs Meter lang sein und werden oft kreisförmig um den Kopf herum angeordnet. Dadurch können die Trauben die vom Boden reflektierte Hitze in sich aufsaugen. Außerdem sind sie so auch vor Wind geschützt. Dies findet vor allem in südlichen Ländern wie Italien (Sardinien), auf der griechischen Insel Santorin mit dem als Kouloura bezeichneten System, sowie in Portugal und Spanien Anwendung. Ein Nachteil ist die Anfälligkeit für Pilz-Krankheiten durch den Bodenkontakt.

Buscherziehung

Diese uralte Methode wurde schon in der Antike von den Griechen angewandt und von den Römern übernommen. Es handelt sich um eine besondere Form der Kopferziehung ohne Unterstützung. Es ist für schwach wachsende Reben in niederschlagsarmen Weinbaugebieten geeignet und wird heute vor allem im Mittelmeerraum praktiziert. Die grünen Triebe werden während des Vegetationszyklus mehrmals gewipfelt, um sie nicht zu lange werden zu lassen. Dazu zählen unter anderem Bockschnitt und Gobelet.

Baumerziehung

Diese hohe Erziehungsform ist in Italien und Spanien häufig. Beim Alberata-System (Bäumchen) werden die Reben auf oder zwischen Bäumen wachsend erzogen. In Kampanien wird es im DOC-Bereich Aversa als kulturelles Erbe gepflegt. In der Emilia-Romagna, sowie Toskana und Venetien gibt es lokale Varianten.

Pergola

Ein schon in der Antike verwendetes Hocherziehungs-System, das für Keltertrauben und besonders Tafelttrauben verwendet wird. Zwischen Stützpfählen aus Holz, Metall oder Beton werden bis in vier Meter Höhe horizontale Vorrichtungen wie gitterartige Holzgestelle, waagrechte Stangen oder Drahtrahmen angebracht.

Einzelpfahlerziehung (Stockkultur)

Die Rebstöcke werden einzeln und freistehend an einem senkrechten Stützpfahl erzogen. Dies war bis in die 1960er-Jahre die häufigste Form in Österreich, bis sie von der Hockkultur abgelöst wurde. In Deutschland ist sie unter Moselpfahlerziehung bekannt. In Württemberg ist die dreischenkelige Pfahlerziehung verbreitet, bei der die Kordone (Schenkel) eines Rebstocks jeweils an einem Pfahl erzogen werden.

Einzelpfahlerziehung in Weißenkirchen (Wachau, Österreich)

Drahtrahmenerziehung

Die heute weltweit übliche und weitaus häufigste Erziehungsform mit länderspezifisch unterschiedlichsten Varianten. Zwischen einer Reihe von Pfählen werden ein bis vier horizontale Drähte gespannt, an denen die aufwachsenden Fruchtruten festgebunden werden. Je nach Stammhöhe gibt es eine niedere, eine mittelhohe und eine hohe Form. Das Triebwachstum muss durch Heften unterstützt werden.

Drahtrahmenerziehung mit Kordon in Kalifornien

Innerhalb der großen Gruppe Drahtrahmenerziehung kann man noch in die zwei Untergruppen Kordonerziehung und Spaliererziehung einteilen, was aber die Komplexität und Vielfalt verdeutlicht. Denn Kordone spielen auch bei der Spalierform eine Rolle und Spaliere gibt es auch bei der Kordonerziehung.

Varianten & Bezeichnungen

Systeme bzw. Bezeichnungen in alphabetischer Reihenfolge mit Varianten bzw. Synonymen:

Alberata bis Bogenschnitt

Capovolto bis Duplex

Einzelpfahlerziehung bis Guyot-Erziehung

Hochkultur bis Pergola

Raggiera bis Stockkultur

Tanazukuri bis V-Erziehung

weiterführende Informationen

Alle Hilfsmittel, Arbeiten und Maßnahmen im Weinberg während des Vegetationszyklus findet man unter dem Stichwort Weingartenpflege. Siehe auch eine komplette Aufstellung aller rebsortenspezifischen Stichwörter unter Weinrebe.

Quellen

Besonders empfehlenswerte Websites sowie Bücher über Weingartenpflege, die auch mit freundlicher Genehmigung des Ulmer-Verlages umfangreich als Quellen verwendet wurden, sind:

WIKIPEDIA: Reberziehung

Der Winzer 1 - Weinbau (Verlag Eugen Ulmer - Stuttgart)
1999: Edgar Müller, Erwin Kadisch, Gerd Schulze, Oswald Walg
2008: Edgar Müller, Oswald Walg, Hans-Peter Lipps (begr. E. Kadisch) - 3. Auflage

Weinbau (Verlag Eugen Ulmer - 2000 Stuttgart) Ernst Vogt, Günter Schruft

Bilder
Kammertbau: Vineyard internship Germany
Arbeiten im Weinberg: Den Haag, Königliche Bibliothek, Gemeinfrei, Link 
Einzelpfahl: Von Bauer Karl - Eigenes Werk, CC BY 3.0, Link 
Drahtrahmen: Von Jason DeRusha - o. p. Flickr as Mondavi, CC BY-SA 2.0, Link

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Dominik Trick

Das wein.plus-Lexikon ist ein umfangreiches, fachlich sehr gut recherchiertes Nachschlagewerk. Jederzeit und überall verfügbar, ist es ein unverzichtbarer Bestandteil für den Unterricht geworden, das gleichermaßen von Studierenden und mir genutzt wird. Überaus empfehlenswert!

Dominik Trick
Technischer Lehrer, staatl. geprüfter Sommelier, Hotelfachschule Heidelberg

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