wein.plus
ACHTUNG
Sie nutzen einen veralteten Browser und einige Bereiche arbeiten nicht wie erwartet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser.

Anmelden Mitglied werden

Lexikon
Das größte Weinlexikon der Welt mit 26.367 ausführlichen Einträgen.

Mutation

mutazzione (I)

Unter Mutationen (lat. mutare „ändern, verwandeln“) versteht man spontan in der Natur auftretende Änderungen der Erbinformation im Genom der Zellkerne von pflanzlichen und tierischen Lebewesen, die eine bedeutende Rolle in der Evolution spielen. Diese ereignen sich meistens punktuell (Punktmutationen), können aber auch größere DNA-Abschnitte umfassen (Deletion, Insertion, Chromosomenbrüche). Erfolgen die Mutationen in der Keimbahn, werden diese an die nächste Generation weitergegeben. Wird der Organismus nicht geklont (bei Pflanzen wie der Weinrebe durch vegetative Vermehrung) bzw. nicht durch Fortpflanzung (Auswachsen eines Traubenkerns) weitergegeben, verschwinden die mit zunehmendem Alter in den Zellkernen angehäuften Mutationen mit dem natürlichen Tod des Organismus. Nur ein geringer Prozentsatz der spontan auftretenden Mutationen bewirkt positive Effekte, viele Mutationen bleiben stumm oder drücken sich nur minimal bzw. graduell aus. Mutationen werden seit Ende des 20. Jahrhunderts mittels Genmanipulation auch künstlich herbeigeführt.

negative Auswirkungen

Viele der über die Jahre akkumulierten Mutationen können sich zusammengenommen irgendwann auch erst viel später nachteilig (negativ) auf den Organismus auswirken. Dies kann sich in Funktionsstörungen von Organen oder in vielfältigen Rebstock-Krankheiten wie zum Beispiel Mauke (Krebs) äußern und im Extremfall bis hin zur Lebensunfähigkeit führen. Da Mutationen in den Zellkernen der Gewebe auftreten, sind diese zunächst nur punktuellen Veränderungen im Erbmaterial der Zellen am lebenden Organismus meist noch nicht auffällig oder nicht gravierend ausgeprägt. Jedes Chromosom mutiert unabhängig, durch den doppelten homologen Chromosomensatz in diploiden Organismen wie zum Beispiel der Weinrebe liegt jede Erbinformation doppelt vor, so dass ein mutationsbedingter Funktionsausfall auf nur einem Chromosom durch die Gene des anderen homologen (übereinstimmenden) Chromosoms ausgeglichen werden kann. Zudem gibt es auch zelluläre Reparatur-Mechanismen, die gewisse Mutationen wieder unschädlich machen oder negative Folgen kompensieren können.

häufige Veränderungen

Häufig auftretende Mutationen am Rebstock betreffen die Veränderungen der Beerenfarbe, die auf einer mutationsbedingten Unterbrechung bzw. Beeinträchtigung der Synthesewege der Anthocyane beruht. Deshalb müssen die ursprünglichsten Rebsorten eine blauschwarze Beerenfarbe aufgewiesen haben. Denn nur Sorten mit dem vollständigen Syntheseweg für die Anthocyan-Farbstoffe in der Beerenhaut können zu Mangelmutanten wie den violetten, roten, rosafarbigen oder gelb-grünen Sorten mutieren. Eine solche Mangelmutante kann ihren Mangel jedoch weitervererben, so dass später auch rotbeerige oder weißbeerige Sorten als Ausgangssorten für weitere Zuchtlinien dienten. Mutationsbedingte Variationen zeigen sich auch an der Wüchsigkeit des Rebstocks, der Morphologie der Blätter (Form, Größe, Tiefe und Anzahl der Blattlappen, Dichte der Behaarung etc.), an den Trieben (aufrechte oder geneigte Wuchsform, Bänderung), sowie last but not least an den Trauben und Beeren (Fruchtbarkeit, Intensität der Anthocyan-Färbung, Trauben- und Beerengröße, Nebentraube, Beerendichte, Beerenform, Reifedauer bzw. Reifezeitpunkt und Geschmack bzw. Aromastoffe).

Mutations-Varianten

Vor allem bei sehr alten Sorten wie Chasselas, Garnacha, Muskateller, Pinot und Traminer haben sich im Verlaufe von Jahrhunderten durch Mutationen vielfältige Sortenklone herausgebildet. Klone im weinbaulichen Sinne sind in der Regel keine 100% identischen Kopien der Ausgangspflanze mehr, sondern durch Mutationen bereits genetisch leicht veränderte Mutanten bzw. morphologisch leicht voneinander abweichende Spielarten. Mutationen können prinzipiell überall in jeder Zelle und in jedem Gewebe passieren, jedoch sind die meisten Mutationen unsichtbar. Sichtbar werden sie erst, wenn sie sich zum Beispiel im Vegetationspunkt der Winterknospe ereignen, den daraus wächst ja wieder durch Zellteilung der mutierten Stammzellen ein ganzer neuer Trieb, der die neuen Eigenschaften enthält. Deshalb nennt man diese auch Spross- oder Knospenmutation. Einen in einigen Merkmalen abweichenden bzw. stark unterschiedlichen Klon nennt man auch Klonmutant.

So hat man schon seit Jahrhunderten neue Klone entdeckt und (falls die Veränderung wie zum Beispiel eine andere Beerenfarbe für gut befunden wurde) bewusst vegetativ weitervermehrt. Wurde aber so eine Veränderung nicht bemerkt und beim Rebschnitt dieser Spross wieder entfernt, dann konnte diese Mutation auch nicht weitergegeben werden, da ja die Veränderung ausschließlich an dieser Knospe bzw. dem späteren Trieb vorhanden war. Bei der jahrhundertelang praktizierten vegetativen Vermehrung der Sorten durch Massenauslese wurden aus den im Weinberg geschnittenen Ruten wieder neue Rebstöcke für neue Weinberge begründet, so dass die vor Ort entwickelte Klonvielfalt über Jahrhunderte bewusst oder unbewusst erhalten blieb und sich weiterentwickeln konnte. Normalerweise unterscheiden sich mutationsbedingte Klonvarianten nur graduell vom originalen Rebsortentypus, aber besonders bei sehr alten Rebsorten mit einer sehr langen vegetativen Vermehrungs-Geschichte können sich einzelne Klone ganz beträchtlich auseinanderentwickelt haben.

Beerenfarbe

Die Pflanzen haben dann in eigenständigen somatischen Entwicklungslinien so viele verschiedene Mutationen angehäuft, dass sie sich auch morphologisch abgrenzen lassen. Auffällige Spezialfälle wurden in der Regel mit eigenen Namen versehen, die zumeist leicht feststellbare Veränderungen der Beerenfarbe, den Reifezeitpunkt, Geschmacksnoten oder die Dichte der Blattbehaarung betrafen. Andere Mutationen äußern sich durch einen geänderten Reifezyklus wie eine etwas frühere oder spätere Reife, was häufig mit den Präfixen grün für spätere Reife bzw. gelb für süßere Beeren ausgedrückt wurde (Grüner und Gelber Orléans; Grüne, Gelbe, Blaue und Rote Seidentraube). Besonders die Mutation der Beerenfarbe tritt recht häufig auf. Bei somatischen Chimären können sogar auf derselben Traube verschiedenfarbige Beeren auftreten, im Extremfall gibt es wie beim Tressot Panaché (panaché = gemischt) sogar unterschiedliche Farben an einer einzelnen Beere.

Pinot-Sorten - Pino Blanc, Pinot Gris, Pinot Noir, Pinot Meunier, Frühburgunder

Besonders signifikante Beispiele sehr alter Mutationen sind Pinot Blanc und Pinot Gris als Beerenfarbmutanten des Pinot Noir, der Frühburgunder (Pinot Précoce Noir) als frühreife Mutante des Pinot Noir, der Pinot Meunier (Schwarzriesling) als stark behaarte somatische Chimäre des Pinot Noir und der wenig behaarte Samtrot, der eine partielle Rückmutation des Pinot Meunier zum Phänotyp des Pinot Noir darstellt, genotypisch jedoch immer noch die Charakteristika des Pinot Meunier aufweist. Drei Mutanten aus jüngerer Zeit sind Findling und Roter Müller-Thurgau (von Müller-Thurgau) sowie Kernling (von Kerner). Bei der Beerenfarbe kann man häufig auch Rückmutationen beobachten. Wenn einzelne besonders augenfällige Merkmale betroffen waren, wurden solche aus Mutationen hervorgegangenen Spielarten oft als eigenständige Rebsorten mit eigenen Namen angesehen, obwohl es sich dabei nicht um züchterische Produkte handelte.

Spielarten / Varietäten

Wenn die Unterschiede nicht so auffällig waren, sprach man eher von Spielarten, Varianten oder Varietäten innerhalb der Sorte, wobei aber letzterer Begriff Wildreben vorbehalten ist. Der Mensch hat immer wieder Mutationen ganz bewusst selektiert, das heißt die besten Formen, Spielarten und Varianten ausgesucht und dies dann gezielt weitervermehrt. Durch Mutationen kann somit bei größeren genetischen Abweichungen aus einer Rebsorte durchaus sozusagen eine „neue“ Sorte abgegrenzt werden, die wie in den oben angeführten Beispielen nicht aus generativer Vermehrung mittels Sämling hervorgegangen ist. Umgekehrt sehen sich manche aus Sämlingsvermehrung hervorgegangene Geschwistersorten phänotypisch so ähnlich, dass sie häufig verwechselt und wie eine Sorte behandelt wurden, obwohl sie genotypisch leicht zu trennen sind.

künstliche Mutation

Künstliche Mutationen (Mutations-Züchtungen) können durch ionische Bestrahlung oder chemische Behandlung von Pollen Beerenkernen, Stecklingen, Knospen, Zellsuspensionen oder anderen Gewebeteilen bewusst herbeigeführt werden.

weiterführende Informationen

Siehe zu diesem Themenkomplex auch unter Blüte, Chromosom, diploid, DNA, Heterozygotie, Kreuzung, Neuzüchtung, Reben-Systematik, Taxonomie und Züchtung, sowie Aufstellungen relevanter Stichwörter unter Rebfläche und Weinrebe.

Stimmen unserer Mitglieder

Dr. Christa Hanten

Für meine langjährige Tätigkeit als Lektorin mit wein-kulinarischem Schwerpunkt informiere ich mich bei Spezialfragen immer wieder gern im Weinlexikon. Dabei führt spontanes Lesen und das Verfolgen von Links oft zu spannenden Entdeckungen in der weiten Welt des Weins.

Dr. Christa Hanten
Fachjournalistin, Lektorin und Verkosterin, Wien

Das größte Weinlexikon der Welt

26.367 Stichwörter · 46.924 Synonyme · 5.323 Übersetzungen · 31.701 Aussprachen · 201.867 Querverweise
gemacht mit von unserem Autor Norbert Tischelmayer. Über das Lexikon

Veranstaltungen in Ihrer Nähe