Der schwedische Botaniker Carl von Linné (1707-1778) entwickelte die Grundlagen der modernen Taxonomie und führte den Begriff der Spezies (Art) in die biologische Systematik ein. In seinem 1753 publizierten zweibändigen Werk „Species Plantarum“ beschrieb er auf 1.200 Seiten mit ungefähr 7.300 Arten alle ihm bekannten Pflanzen der Erde. Unter anderen wurde hier erstmals die Pflanzengattung Vitis (Weinrebe) beschrieben Gemeinsam mit dem 1758 publizierten Werk „Systema Naturæ“ wurden damit die bis heute verwendete wissenschaftliche Nomenklatur in der Botanik und der Zoologie begründet.
Linnes Klassifizierungs-System beinhaltete aber noch nicht alle heute üblichen Kategorien bzw. Stufen. Diese werden aber nicht immer bei allen Pflanzen bzw. Tieren verwendet. Der jeweilige Gebrauch hängt einfach davon ab, wie komplex die jeweiligen Einheiten sind. Die in fachlichen Quellen fast immer erwähnten drei Hauptkategorien sind Familie-Gattung-Art. Jede Kategorie kann noch in „Unterstufen“ zerlegt werden (subspecies). Ebenso kann als letzte Unterstufe einer Hauptkategorie eine „Überstufe“ geschaffen werden, die dann über der nächstfolgenden Hauptkategorie steht (superdiviso).
Es gibt verschiedene Systeme mit zum Teil unterschiedlicher Stufung bzw. Bezeichnungen. Durch den deutschen Professor Dr. Bernhard Husfeld (1900-1970), dem Institutsleiter vom Geilweilerhof (Siebeldingen-Pfalz), wurde eine weithin anerkannte Systematik geschaffen. Eine weitere wurde 1967 durch den französischen Ampelographen Pierre Galet (1921-2019) entwickelt. Für die nun dargestellte Systematik gab es wertvolle Informationen durch Univ. Prof. Dr. Manfred A. Fischer (Department für Botanische Systematik und Evolutionsforschung, Fakultät für Lebenswissenschaften der Universität Wien, Österreich).
Stufe |
Lat. Bez. |
Weinrebe - Erläuterungen |
Domäne | - | Eukarya (Organismen mit echtem Zellkern) |
Reich | regnum | Chlorobionta (Chlorophyllpflanzen) od. Viridiplantae |
Unterreich | subregnum | Archegoniatae (Archegoniumpflanzen) od. Embryophyta |
Überabteilung | superdiviso | Tracheophyta (Gefäßpflanzen) |
Abteilung | diviso | Spermatophyta (Samenpflanzen) |
Unterabteilung | subdiviso | Angiospermophytina (Bedecktsamer) |
Klasse | classis | Rosopsida (Dreifurchenpollen-Zweikeimblättrige) |
Unterklasse | subclassis | Rosidae (Rosenpflanzen) |
Ordnung | ordo | Vitales (Weinrebenartige) |
Familie | familia | Vitaceae (Rebengewächse oder auch Weinrebengewächse) |
Gattung | genus | Vitis (Weinreben) es gibt 13 weitere, aber nur Vitis ist für Weinbau geeignet |
Untergattung | subgenus | Vitis subg. Euvitis - umfasst rund 60 Spezies Vitis subg. Muscadinia - umfasst 2 bis 3 Spezies |
Art/Spezies | species | Vitis vinifera - nur 1 Spezies mit zwei (drei) Subspezies Vitis abcdef - rund 30 Spezies - asiatische Sorten Vitis abcdef - rund 30 Spezies - amerikanische Sorten |
Unterart | subspecies | Vitis vinifera subsp. sylvestris (europäische Wildweinrebe) Vitis vinifera subsp. caucasica (Kaukasische Wildrebe) Vitis vinifera subsp. vinifera (Edelrebe) - europäische Sorten |
Varietät | varietas | ist Wildreben-Populationen vorbehalten (nicht Kulturreben) |
Form | forma | ist Wildreben-Populationen vorbehalten (nicht Kulturreben) |
Sorte/Cultivar | - | Cabernet Sauvignon, Riesling, Traminer - 3 von rund 10.000 |
Die Gattung Vitis ist wahrscheinlich über 130, die traubentragende Variante Vitis vinifera wohl über 80 Millionen Jahre alt (da gab es noch Saurier). Über 79,99 Millionen Jahre war die Rebe zweihäusig, das heißt, dass männliche und weibliche Organe auf voneinander getrennten Pflanzen angeordnet waren. Erst in den letzten vielleicht 10.000 Jahren hat der Mensch die zwitterblütigen Varianten wegen ihrer ungleich höheren Ertragssicherheit selektiert und stark in den Anbau gebracht. Die zwittrige Blütenform entspricht somit sozusagen nur den letzten Millisekunden der Rebenevolution. Dies bedeutet aber auch, dass die Genetik hauptsächlich vom Zeitraum der 79,99 Millionen Jahre geprägt ist. Bei den vielen spontanen Kreuzungen, die im Laufe der Zeit entstanden sind, waren durch die heterozygote Eigenschaft (Spalterbigkeit) der Reben die Merkmalsausprägungen bei den Nachkommen deutlich unterschiedlich zu den Eltern und führte zu einer Sortenvielzahl.
Die Weinrebe gehört zur Ordnung der Vitales (frühere Zuordnung zu Rhamnales war falsch) und zählt darunter zur Familie der Vitaceae, der so genannten Rebengewächse. Diese große Familie umfasst die 14 Gattungen Acareosperma, Ampelocissus, Ampelopsis, Cayratia, Cissus (die früher eigenständige Gattung Pterocissus wurde hier zugeordnet), Clematicissus, Cyphostemma, Nothocissus, Parthenocissus, Pterisanthes, Rhoicissus, Tetrastigma, Vitis und Yua. Obwohl auch einige andere Gattungen essbare Trauben produzieren, ist nur die Gattung Vitis für den Weinbau bedeutend. Ampelopsis, Cissus und Parthenocissus werden oft als „Wilder Wein“ bezeichnet, obwohl sie keine Wildreben (Wildformen der Kulturreben) sind. Auf Grund zu entfernter Verwandtschaft lassen sich Spezies verschiedener Gattungen nicht kreuzen. Die Gattung Vitis teilt sich in die zwei Untergattungen Vitis subg. Euvitis (früher auch Vitis subg. Vitis) und Vitis subg. Muscadinia. Ein ganz wesentlicher Unterschied ist die Anzahl der Chromosomenpaare, was zu Schwierigkeiten bei Kreuzungen führt.
Die Untergattung Vitis subg. Muscadinia hat 20 Chromosomenpaare (2 x 20 = 40), die Knoten sind ohne Diaphragma, die Ranken unverzweigt, die sehr locker angeordneten Beeren werden zur Reife einzeln abgeworfen. Es gibt nur eine einzige Muscadinia-Spezies (mit drei Varietäten), deren korrekter Name Muscadinia rotundifolia lauten müsste. Sie wird aber in den allermeisten Publikationen häufig als Vitis rotundifolia bezeichnet. Muscadinia spielt zwar für die Weinerzeugung keine besondere Rolle, ist aber auf Grund ihrer Resistenz gegen Reblaus und Nematoden für die Züchtung neuer Rebsorten und Unterlagen sehr interessant. Allerdings bereiten die unterschiedlichen Anzahlen der Chromosomenpaare bei Kreuzungen große Probleme. Manche Biologen plädieren dafür, Muscadinia neben Vitis zu einer eigenen Gattung zu erheben.
Die Untergattung Vitis subg. Euvitis hat 19 Chromosomenpaare (2 x 19 = 38), die Knoten weisen ein Diaphragma (Scheidewand bzw. Holzbrücke in hohlen Stämmen) auf, die Ranken sind gegabelt, die Beeren bleiben bis zur Reife an den Trauben stehen. Die rund 60 Spezies werden nach ihrer geographischen Verbreitung in drei Gruppen aufgeteilt. Bei der europäischen Gruppe gibt es vermutlich als Folge der Eiszeit nur die eine Spezies (Art) Vitis vinifera mit zwei Subspezies.
Die Subspezies Vitis vinifera subspez. sylvestris ist die wilde Stammform der heutigen Edelreben. Diese wurde schon prähistorisch genutzt, spielt aber im heutigen Weinbau keine Rolle. Sie wurde vom deutschen Botaniker Johann Georg Gmelin (1709-1755) abgegrenzt und nach diesem fallweise auch als Vitis vinifera subspez. sylvestris Gmelin benannt. Eine östliche Ausprägung ist die nach dem russischen Botaniker Nikolai I. Vavilov (1887-1943) benannte Vitis vinifera subspez. caucasica Vavilov. Diese Aufspaltung kann aber heute nicht mehr nachvollzogen werden.
Die zweite Subspezies Vitis vinifera subspez. vinifera (veraltet Vitis vinifera ssp. sativa) ist eine vom Menschen allmählich herausgezüchtete Kulturrasse. Diese umfasst alle heutigen rund 8.000 bis 10.000 kultivierten Europäer-Reben. Für den Weinbau von Bedeutung sind aber nur ein paar Hundert. Die amerikanische Gruppe umfasst rund 30 Spezies, von denen aber nicht alle für den Weinbau von Bedeutung sind. Von rund fünf bis sechs Spezies stammt der Großteil der kultivierten Amerikaner-Reben ab. Maximal hundert davon spielen für den Weinbau eine Rolle. Die asiatische Gruppe umfasst ebenfalls rund 30 Spezies, von den drei bis vier wichtigsten stammen die kultivierten Asiaten-Reben ab. Alle rund 60 Spezies (Arten) der Untergattung Vitis subg. Vitis lassen sich miteinander kreuzen, wobei man dies als interspezifische Kreuzung bezeichnet (siehe dazu auch unter Hybriden). Dabei sind die EU-Bestimmungen bezüglich Qualitätswein-Rebsorten zu beachten.
Je nach Quelle (Botaniker, Institut) gibt es oft Unterschiede in der taxonomischen Rangstufenzuordnung und auch Hierarchie, was auch vom jeweiligen Forschungs- und Kenntnisstand abhängt. Neben verschiedenen Zuordnungen erfolgten von einzelnen Botanikern auch unterschiedliche Bezeichnungen, was zu großen Verwirrungen führte. Ein extremes Beispiel ist Vitis labrusca mit 13 botanischen Namen. Um den Ursprung feststellen zu können, ist deshalb in der botanischen Langbezeichnung am Ende der Bezeichnung der Name des Botanikers angeführt. Besonders in den letzten Jahren konnten auf Grund umfangreicher DNA-Analysen viele neue Erkenntnisse gewonnen werden. Was früher als Spezies angesehen wurde, hat sich bloß als Subspezies oder gar nur als Varietät erwiesen und auch umgekehrt. Heute hat man sich weitgehend auf eine international gültige Terminologie geeinigt, obwohl es im Detail noch immer Unterschiede gibt. Es gibt nach der kontinentalen Herkunft Amerika, Asien und Europa drei Hauptgruppen mit insgesamt rund 60 Spezies, die im Tafeltraubenanbau und Weinbau von Bedeutung sind:
Im Weinbau werden Rebsorten auch in fachlichen Quellen häufig fälschlicherweise als Varietät (variété, variedad, variety) bezeichnet. Ebenso häufig wird in den meisten Publikationen umgangssprachlich der gleichbedeutende Begriff Spielart verwendet. Dies erfolgt besonders dann, wenn es sich um Rebsorten mit nur geringfügig unterschiedlichen Beerenfarben handelt. Aus botanischer Sicht besitzen Pinot Noir, Pinot Gris und Pinot Blanc den gleichen Genotyp. Obwohl sie streng genommen also dieselbe Rebsorte darstellen, werden sie als drei verschiedene Rebsorten geführt (siehe dazu unter Pinot). Ähnliches gilt auch für die Sortengruppen Muskateller und Traminer. Der Begriff „Varietät“ darf in der Botanik jedoch nur für Wildformen, aber nicht für Kulturformen verwendet werden. Für Zweitere ist Spielart gebräuchlich.
Auch die taxonomische Rangstufe Forma unterhalb der Varietät ist nicht zulässig, da sich diese nur auf minimale genetische Unterschiede wie zum Beispiel nur in einem einzigem Allel (Gen) bezieht, was aber nur bei sehr nahe verwandten Sorten der Fall ist. Für die Kulturpflanzen sind die Bezeichnungen Sorte (Rebsorte) oder Klon korrekt. Laut den Nomenklaturregeln für Kulturpflanzen dürfen Kulturrassen (= Sorten) allenfalls Cultivare (engl. cultivars = cv. = aus „cultivated variety“ entstanden) genannt werden. Besonders alte und weit verbreitete Rebsorten haben oft über 100 Synonyme (mehrere Namen für eine Sorte) bzw. Homonyme (ein Name für mehrere Sorten), was die Identifizierung oft erschwert. Gleiche Namen müssen keinesfalls auf eine Verwandschaft hindeuten (siehe dazu unter Lambrusco, Malvasia, Muskateller, Trebbiano und Vernaccia).
Siehe zu diesem Themenkomplex auch unter DNA, Chromosom, Amerikaner-Reben, Asiaten-Reben, Europäer-Reben, Rebenstammbaum und Taxonomie sowie Aufstellungen relevanter Stichwörter unter Rebfläche und Weinrebe.
Carl von Linne: von Alexander Roslin - Gemeinfrei, Link
Klassifizierung Pflanze: von Georg Dionysius Ehret, Gemeinfrei, Link
Systema Naturae: von Carl von Linné, Gemeinfrei, Link
Graphik: Norbert F. J. Tischelmayer
Weintraube: Gemeinfrei, Link
Rebstock alt: by CecileOSaveurs from Pixabay
Früher benötigte man eine Fülle an Lexika und Fachliteratur, um im vinophilen Berufsleben up to date zu sein. Heute gehört das Weinlexikon von wein.plus zu meinen besten Helfern, und es darf zu Recht als die „Bibel des Weinwissens“ bezeichnet werden.
Prof. Dr. Walter Kutscher
Lehrgangsleiter Sommelierausbildung WIFI-Wien