Ein klassischer Stammbaum stellt die Nachfahren einer Person oder eines anderen Lebewesens wie auch den Pflanzen wie zum Beispiel der Weinrebe dar und ist Teil der Genealogie (Ahnenforschung). In dieser Form die Abstammung „aller“ Rebsorten oder auch nur weniger darzustellen, ist unmöglich und scheitert aus mehreren Gründen.
Es gibt zwar viele einzelne Eltern-Nachkommen-Beziehungen, aber keine wirklichen Stammbäume, da oft nur die Mutter klar ist und der Vater fehlt, wie bei den zahlreichen Sämlingen des Gouais Blanc (Weißer Heunisch). Jeder Same (Kern) in einer Beere ist ja im Prinzip eine potentielle neue Rebsorte, die aber erst dann zu dieser wird, wenn der Kern in die Erde gelangt, dort auskeimt und zur Rebe heranwächst. Innerhalb einer Beere mit 5 bis 6 Kernen können die Väter also 5 bis 6 Sorten sein, je nachdem was an Pollen bei der Blüte angeweht oder am Rebstock selbst übertragen wurde.
zeitliche Abfolge und räumliche Begrenztheit
Stammbäume täuschen zudem eine zeitliche Abfolge und räumliche Begrenztheit vor, die aber bei Rebsorten nicht gegeben sein muss. Die Nachkommen der besonders in Europa bedeutenden Leitsorte Gouais Blanc können mehr oder weniger gleichzeitig an einem Ort aus wenigen Trauben oder aber auch im Verlauf von mehreren tausend Jahren an mehreren Orten entstanden sein. Onkel und Tanten können mit der Mutter in der Antike aus Transkaukasien importiert worden sein, während die Kinder am neuen Pflanzort der Muttersorte spontan aus Samen entstanden sind.
Bei Rebsorten gibt es keine Generationenabfolge, wie bei Säugetieren oder Menschen, da sie potentiell unsterblich sind und oft an diversen Orten und über lange Zeiträume im Anbau sein können. Spontane Kinder dieser Sorten könnten in allen Kontinenten wie Australien, Amerika, Südafrika und Europa entstehen.
Inzest
Die Enkel im Gemischten Satz können Großmutter und Tante bestäuben, so dass eine Art Inzest entsteht. Solange Kinder und Kindeskinder im Mischsatz gepflanzt sind, kann es Kreuzinzest „jeder mit jedem“ geben. Dutzende von Vätern können als Pollenspender im Mischsatz die Einzelblüten einer einzigen Rebe befruchten. Werden diese Samen ausgesät, entstehen Massen von Stiefgeschwistern mit einer Mutter und vielen Vätern und umgekehrt. Die Väter der einen, sind die Mütter der andern. Die kultivierten Reben sind ja Zwitter. Dann wird es kompliziert mit Stammbäumen.
Eine Muttersorte, mehrere Väter, der Vater des einen ist die Mutter des andern, und das gleichzeitig während einer Woche Blühzeit. Oder dasselbe Spiel mit denselben Elternsorten, aber über tausende Jahre verteilt. Viele der heute in Europa angebauten Kultursorten gehen auf eine kleine Gruppe Leitsorten wie Gouais Blanc, Pinot und Traminer sowie deren spontane Kreuzungen zurück. Die Graphik oben des italienischen Sortenpools veranschaulicht die Komplexität. Die Graphik unten ist ein Auszug mit Aglianico, Bombino Bianco, Mantonico Bianco, Sangiovese und Visparola.
weiterführende Informationen
Siehe zu diesem Themenkomplex auch unter DNA, Chromosom, Amerikaner-Reben, Asiaten-Reben, Europäer-Reben, Reben-Systematik und Taxonomie sowie Aufstellungen relevanter Stichwörter unter Rebfläche und Weinrebe.
Rebenstammbaum Italien: Julius Kühn-Institut (JKI)
Quelle: Diplombiologe Andreas Jung
