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Lexikon
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Veredelung

grafting (GB)
innesto (I)
greffage, greffe (F)
injerto (ES)
enxertia (PO)
enten (N)

Bezeichnung (auch Pfropfung, Kopulation, varaltet Pelzen) für die künstliche, vegetative Vermehrung von verholzenden Pflanzen. Am häufigsten ist dies bei Rosen- und Obstsorten üblich. Im Prinzip handelt es sich um eine Transplantation eines Pflanzenteiles (Edelreis) auf den Wurzelteil einer anderen Pflanze (Unterlage). Man kann den Vorgang auch als Klonen bezeichnen, weil dabei aus den Ursprungspflanzen genetisch vollkommen identische neue Pflanzen entstehen. Diese Technik war schon in der Antike vor allem bei Obst- und Olivensorten bekannt und wird von Cato dem Älteren (234-149 v. Chr.) auch bei Reben erwähnt. Das Hauptziel ist dabei die Bewahrung von speziellen Eigenschaften vor allem von früchtetragenden Ursprungssorten aber auch Zierpflanzen, wenn deren Erhaltung durch schlechtes oder krankheitsanfälliges Wurzelsystem, nicht zufriedenstellende Wuchsstärke (zu stark, zu schwach) oder Nichtverträglichkeit mit dem Boden (z. B. Kalk) gefährdet ist.

Veredelung - Unterteil und Oberteil

Grund für die Veredelung - die Reblaus

Ursache für die weltweit flächendeckende Veredelung von Weinreben war die ab Mitte des 19. Jahrhunderts aus Amerika eingeschleppte Reblaus. Im komplexen Lebenszyklus des Schädlings werden oberirdisch die Blätter und/oder (was wesentlich gefährlicher ist) unterirdisch die Wurzeln befallen. Die Reben reagieren als Abwehrreaktion durch Bildung von Gallen (Blätter) bzw. Wucherungen (Wurzeln), die von der Reblaus als Nahrung genutzt werden. Die Wucherungsformen an den Wurzeln nennt man Nodositäten (an jungen, unverholzten Wurzeln) und Tuberositäten (an alten Wurzeln). Einige der amerikanischen Rebenspezies sind in unterschiedlichem Ausmaß widerstandsfähig. Reblausresistente Spezies bilden an den Wurzeln wenig bis keine Wucherungen aus. Das Bild zeigt eine Europäer-Rebe mit einer weit ins Innere reichenden lochartigen Vertiefung und eine reblausresistente Amerikaner-Rebe, wo nach dem Reblaus-Anstich eine Abriegelung durch Korkgewebe erfolgt.

Reblaus - Europäerrebe nach Anstich, Rebläuse, Amerikanerrebe

Die Lösung des Problems

Nach zahlreichen Fehlversuchen mit zum Teil absurden Ideen kam man endlich auf die rettende Idee. Auf die Wurzelstöcke ausgewählter Amerikaner-Reben wurden Edelreiser von Europäer-Reben aufgepfropft. Widerstandsfähig sind die amerikanischen Spezies Vitis berlandieri (hohe Kalktoleranz, reblausfest an der Wurzel), Vitis rupestris, Vitis riparia und die besonders reblausresistente Vitis cinerea. Schon ab Ende des 19. Jahrhunderts wurden deshalb Kreuzungen verschiedener amerikanischer Spezies, aber auch mit der europäischen Vitis vinifera vorgenommen und daraus Unterlagen selektiert. Sie weisen idealerweise nicht nur Resistenz gegen Reblaus und Nematoden (Fadenwürmer) auf, sondern sind auch für verschiedenste Bodentypen geeignet und harmonieren mit den Wuchseigenschaften vom jeweiligen Edelreis (Oberteil).

Der Charakter des neuen Rebstocks wird einzig und allein von der aufgepfropften Edelsorte bestimmt, da die Erbmasse des Edelreises ja nicht mit jener der Unterlage vermischt, sondern unverändert bestehen bleibt. Der art- bzw. sortenfremde Wurzelstock dient „nur“ zur Verankerung am Wuchsort, zur Aufnahme von Wasser und Nährstoffen aus dem Boden und zur Abwehr der unterirdischen Reblausstadien. Dies steht im Gegensatz zur Züchtung neuer Rebsorten, die ja zur Hälfte die Eigenschaften beider Elternsorten in neuer Kombination aufweisen. Die unterschiedliche Genetik der Unterlage hat aber gewissen Einfluss auf Wüchsigkeit und Vegetationszyklus wie z.B. Fruchtansatz sowie der Neigung zu Krankheiten wie Verrieseln. Denn zwischen Unterlage und Edelreis gibt es beträchtliche physiologisch-chemische Wechselwirkungen.

Länder mit und ohne veredelte Rebanlagen

In allen Weinbau-Ländern der Welt wird heute grundsätzlich eine Veredelung durchgeführt, obwohl es einzelne Regionen, wie zum Beispiel in Argentinien, Australien und Chile bisher von der Reblaus verschont geblieben sind. Es ist aber wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit, bis auch dort der Schädling auftritt. Weltweit sind es rund 90% aller Rebstöcke. In einzelnen Weinbaugebieten werden wurzelechte Rebstöcke trotz (geringer) Präsenz der Reblaus kultiviert, so z. B. auf den kanarischen Inseln, im österreichischen Burgenland, in den deutschen Anbaugebieten Franken und Mosel, im Schweizer Wallis, auf der Insel Sizilien und am Fuß der französischen Pyrenäen. Voraussetzung dafür sind aber spezielle Böden, in denen die Reblaus sich nicht wohl fühlt, deshalb sich nur schwach vermehrt oder überhaupt nicht gedeihen kann (siehe auch unter Sandwein).

Heute wird auch aus anderen, zusätzlichen Gründen veredelt, zum Beispiel um den Ertrag zu steigern, eine Resistenz gegen andere Schädlinge oder bodenbürtige Rebstock-Krankheiten zu erreichen oder die Kalk- bzw. Salztoleranz zu erhöhen. Es gibt aber auch Nachteile des Pfropfens, zum Beispiel die Verbreitung von Viren bei Verwendung virusinfizierten Pflanzmaterials (siehe dazu unter Zertifizierung von Rebstöcken). Passende Unterlagen gibt es für die verschiedensten Klimata, Bodentypen, Standorte und nicht zuletzt Rebsorten. Je nach Bodenfruchtbarkeit, Wasserhaushalt, Kalkgehalt, Salzgehalt und angepasst an die Wuchs- und Ertragseigenschaften des Edelreises muss die dazu harmonierende Unterlagssorte gewählt werden. Dafür gibt es in den einzelnen Weinbauländern auf den jeweiligen Standort bezogene behördliche Empfehlungen.

Veredelungsformen

Der Edelreis wird mit der Unterlage verbunden. Für die Verbindungsstelle der beiden Teile gibt es verschiedene Schnittformen. Die häufigste Form ist der nach dem letzten Buchstaben des griechischen Alphabets (Ω) benannte Omegaschnitt, der auch maschinell möglich ist. Dieser ermöglicht bei geringerer Belastung eine gegenüber der Handveredelung viermal höhere Arbeitsleistung (Stundenleistung bis 500 Veredelungen).

Veredelung - Omegaschnitt

Kopulationsschnitt

Der Kopulationsschnitt kann auch in der Ruhezeit der Pflanze durchgeführt werden, da hierbei sich die Rinde nicht lösen muss, wie es bei der Okulation notwendig ist. Es gibt die einfache Form, bei der die schrägen ganz glatten Schnittstellen mit drei bis vier Zentimeter Länge gegeneinander gefügt werden, so dass Rinde auf Rinde passt und die Kambiumschichten aufeinander liegen. Diese Verbindung gilt in der Regel als weniger stabil. 

Veredelung - Kopulation einfach und mit Gegenzunge

Zungenschnitt (englischer Kopulationsschnitt) / Jupiterschnitt

Bei der Veredelungsform „Kopulation mit Gegenzunge“ (auch Zungenschnitt oder englischer Kopulationsschnitt) werden die Schnittstellen zusätzlich mit einem Einschnitt versehen, die ein Ineinanderschieben und Verankern der beiden Gehölze ermöglicht. Zweck ist die viel größere Festigkeit der Verbindung sowie die Schaffung größerer Kontaktflächen der Kambiumschichten, was ein rascheres Zusammenwachsen fördert. Dies wurde erstmals aufgrund der Reblaus-Katastrophe angewendet und war lange Zeit die verbreitetste Form der manuellen Veredelung. Der Jupiterschnitt war ein Versuch, diesen Vorgang maschinell auszuführen. Die Schnittform ist N-förmig (siehe vorletzter Stamm im Bild Kopulation mit Gegenzunge).

Anplatten

Als Anplatten wird eine Veredelungsform bezeichnet, bei der Unterlage und Edelreis nicht unbedingt den gleichen Durchmesser haben müssen. Diese Form ist sowohl bei der einfachen Kopulation als auch bei der Kopulation mit Gegenzungen möglich. Die weiter unten im Bild gezeigte Geißfußpfropfung ist sehr ähnlich.

Veredelung - Kopulation mit Gegenzunge (gut verwachsen)

weitere Veredelungsformen

Weitere Veredelungsformen sind der Okulationsschnitt oder T-Schnitt (bei Weinrebe selten), die Geißfußveredelung (hauptsächlich bei Obstgehölzen), der Lamellenschnitt (bei der Walnuss), das seitliche Einspitzen (wenn das Edelreis schwächer als die Unterlage ist), das Rindenpfropfen (bei Obst- und Zierbäumen) und die Sonderform Nicolieren (Okulieren von Unterlagen mit drittem Partner, der als Zwischenstück bei Unverträglichkeiten von Unterlage und Edelreis vermittelt).

Veredelung - Geißfuß-Pfropfung, Rinden-Pfropfung, seitliches Einspitzen

Produktion in der Rebschule

Die Herstellung der für die Veredelung erforderlichen Teile erfolgt in getrennten Rebanlagen. Die Gewinnung von Edelreisern und Unterlagen sowie die Veredelung und nachherige „Einschulung“ der Jungpflanzen erfolgen in zertifizierten Rebschulen. Voraussetzung für eine gute Verwachsung der zwei Pflanzenteile ist gut ausgereiftes, einjähriges Holz. Die Veredelung erfolgt (auf der nördlichen Halbkugel) von Anfang März bis Mitte April. Ein etwa sechs Zentimeter lange Edelreis wird mit einem darauf befindlichen Auge mit der etwa 30 Zentimeter langen Unterlage verbunden, aus der alle Augen herausgeschnitten wurden (also geblendet). Die beiden Teile müssen eine gute Pfropfaffinität (Verträglichkeit), sowie in etwa die gleiche Triebdicke und Triebquerschnitt aufweisen, damit die Schnittstellen problemlos miteinander verwachsen können. Früher musste die Veredelung prinzipiell manuell bewerkstelligt werden, heute kann dies mit entsprechenden Geräten viel schneller auch maschinell erfolgen.

Im ersten Jahr bleibt die Pflanze in der Rebschule, wo nach der Veredelung ein Vortreiben (Beginn von Trieb- und Wurzelbildung), Einschulen (Auswachsen zu einem Setzling) und Abhärten (Vorbereiten für das Aussetzen im Weingarten) erfolgt. Erst im Folgejahr werden die Setzlinge vermarktet und im Weingarten ausgepflanzt. Die Verwachsungsstelle sollte bei der Pflanzung eine Handbreit über dem Boden liegen und nicht mit Erde bedeckt werden. Mit zunehmendem Dickenwachstum des Stamms bildet sich an der Wunde eine kragenartige Verdickung, an der gepfropfte Rebstöcke im Feld leicht erkannt werden können. Als Alternative kann die Veredelung auch auf einem bereits gepfropften Rebstock im Weingarten erfolgen, dies nennt man Umveredelung (auch Feld-, Grün- oder Freilandveredelung). Erfolgt die Einsetzung in die Erde von Mai bis Juni (Nordhemisphäre) oder jeweils 6 Monate versetzt (Südhemisphäre), dann treibt das Auge noch im selben Jahr aus. Wird es Juni bis August eingesetzt, treibt es erst im Folgejahr aus. Eine oft gestellte Frage ist, ob der Wein unveredelter, sogenannter wurzelechter Rebstöcke denn nicht qualitativ besser sei; siehe dazu unter Prä-Phylloxera (vor der Reblaus).

Graphik Unterteil/Oberteil: Bauer/Regner/Schildberger,
Weinbau, ISBN: 978-3-70402284-4, Cadmos Verlag GmbH 

Tuberositäten: J. Schmid, F. Manty, B. Lindner, ISBN, GFDL 1.2, Link 1 / Link 2

Reblaus: Von unbekannt -  Meyers, Gemeinfrei, Link

Omegaschnitt: © www.rebschule-freytag.de 

Kopulation: © Johannes Hommel

Gegenzunge: Von Clemens PFEIFFER, CC BY 2.5, Link  

Geißfuß, Rinde, Einspitzen: Von MagentaGreen,
eigenes Werk, CC-BY-SA 4.0, Link 1 / Link 2 / Link 3

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Thomas Götz

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Thomas Götz
Weinberater, Weinblogger und Journalist; Schwendi

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