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Wildreben

wild wine (GB)
vignes sauvages (F)

Bezeichnung für natürliche Rebenvorkommen, die sich im Verlaufe der langen Evolutionsgeschichte als Spezies (Arten) und Subspezies (Unterarten) herausgebildet haben. Wildreben dürfen aber nicht mit den als Wilder Wein bezeichneten Reben-Gattungen verwechselt werden. Die Artareale sind ein Spiegel der Klima- und Vegetationsgeschichte der jeweiligen Besiedlungsräume und geben Auskunft über die Anpassungsfähigkeit der Arten. Wo sich die Areale verschiedener Spezies überschneiden, konnten sich lebensfähige Naturhybriden durch natürliche Kreuzung ausbilden. Auf Grund der zahlreichen Funde von fossilen Samen, Holzresten und Blattabdrücken gilt es als erwiesen, dass es wilde Vorformen der Weinreben schon am Ende der Kreidezeit (Frühes Eozän) und im frühen Quartär (Oligozän), also vor rund 60 bis 80 Millionen Jahren gegeben hat. Durch die Eiszeiten (100.000 bis 10.000 Jahre vor heute) wurden die in Mitteleuropa heimischen Wildreben in den Mittelmeerraum und die Tiefebene des damals noch nicht existenten Schwarzen Meeres und nach Zentralasien zurückgedrängt.

Wildreben in Europa, Asien und Amerika

Eine der ältesten Beschreibungen von Wildreben (neben jenen in der Bibel) stammt von den Fahrten des Isländers Leif Eriksson in der Grenlinga-Saga, der um das Jahr 1000 das berühmte Vinland an der Ostküste der USA (Massachusetts) erreichte. Im 17. Jahrhundert fanden die europäischen Siedler in Nordamerika in den Wäldern üppig wuchernde Wildreben vor. Heute gibt es dort noch größere Bestände im Osten und Südosten Nordamerikas, sowie auch in Asien, vor allem in China.

Europäerrebe - Vitis vinifera sylvestris

Durch spezielle klimatische Bedingungen in Europa hat hier als einzige Art nur Vitis vinifera überlebt. Sie gliedert sich in die Kulturform Vitis vinifera ssp. vinifera (veraltet Vitis vinifera ssp. sativa) und die Wildform Vitis vinifera ssp. sylvestris Gmelin. Davon wurde die Unterart Vitis vinifera ssp. caucasica Vavilov abgegrenzt, was heute jedoch nicht mehr nachvollzogen werden kann. Letztere zwei sind nach den Botanikern Johann G. Gmelin (1709-1755) und Nikolai I. Vavilov (1887-1943) benannt. Im Gegensatz dazu gibt es die großen Gruppen der Asiaten-Reben und Amerikaner-Reben mit je rund 30 Spezies.

Entwicklung in Europa 

Während der Perioden der intereiszeitlichen Warmzeiten bildeten sich immer wieder neue Rebenbestände in Mitteleuropa aus, die von den nachfolgenden Eiszeiten wieder ausgelöscht wurden. Nach dem Ende der letzten Eiszeit vor etwa 10.000 Jahren sind während der dann folgenden Wärmeperiode (5500 bis 2500 v. Chr.) mit ihrem subtropischen Monsunklima auch die Wildreben zusammen mit anderen Gehölzarten nach Mitteleuropa zurückgekehrt. Die großflächige Ausbreitung erfolgte vor allem durch Vögel, die die Beeren mitsamt den Kernen fraßen und die unverdaulichen Samen irgendwo mit dem Vogelkot wieder ausschieden. In den Flussauen trugen auch Überschwemmungen zur Ausbreitung bei. So konnten sich immer neue Wildreben in den damals noch wesentlich lichteren Eichenmischwäldern und Auwäldern ausbreiten.

Zusammen mit den nach Norden vordringenden Baumarten dürften Wildreben großflächig bis weit nach Norden verbreitet gewesen sein, denn die Waldgrenze lag etwa 200 m höher als heute. In den lichten Eichenmischwäldern kamen Wildreben in Buschform vor oder rankten sich an aufstrebenden Bäumen bis zu 20 Meter hoch. Sie dürften so alt wie ihre Trägerbäume, also in etwa 80 bis 300 Jahre alt geworden sein. Ab etwa 2500 v. Chr. verschlechterte sich das Klima spürbar und in dieser kühleren Phase setzten sich ab 1800 v. Chr. dunkle geschlossene Buchenwälder in Mitteleuropa als dominierende Waldformation durch. In der Folge wurden die europäischen Wildrebenbestände auf die großen Flussauen zurückgedrängt, denn in den von der Buche gebildeten, extrem schattigen und langlebigen Hallenwäldern (ohne Bodenbewuchs) oder in den nun deutlich kühleren Bergwäldern boten sich aufkeimenden Sämlingen keine ausreichenden Wuchs- und Lebensbedingungen mehr.

Fortpflanzungsfähige Populationen überdauerten jedoch in Tausenden von Exemplaren in den lichten Auen der großen Flusstäler von Donau, Rhein, Rhône und deren Nebenflüssen. Denn nur dort schufen die alljährlichen Überschwemmungen ein dynamisches und strukturreiches Vegetationsmosaik aus den verschiedensten Stadien von Pflanzengesellschaften. In den immer wieder neu entstehenden Lichtungen mit aufkeimendem Strauchwuchs und natürlicher Baumverjüngung boten sich den licht- und wärmeliebenden Lianen die optimalen Wuchs- und Kletterbedingungen. Zudem schuf der abgelagerte Schlamm das ideale Keimbeet für die Samenkeimung. In südlicheren Gegenden waren es bei zunehmender Trockenheit ebenfalls die Flusstäler, die den Reben noch ausreichend Wasser, Licht und Besiedlungsdynamik bieten konnten. 

Wildreben auf der Ketscher Rheininsel (Baden-Württemberg)

Durch Rodungen gegen Ende des 19. Jahrhunderts, Pflanzung von Forsten, gezielte Entfernung der Wildrebendickichte, sowie umfangreiche Flussbegradigungen und Trockenlegung der Auwälder sind sie heute in Europa nahezu ausgerottet. Einige Restbestände gibt es noch in Spanien (Baskenland), Frankreich (an den Ufern von Garonne, Loire und Rhône), in Deutschland (am Oberlauf des Rheins), in der Schweiz (Genfer See), in Österreich (im Augebiet Lobau bei Wien), auf dem Balkan und an der Donau, vor allem in Serbien und Rumänien. Auf der Ketscher Rheinisel (einem Naturschutzgebiet) westlich der Gemeinde Ketsch in Baden-Württemberg befindet sich der größte Bestand von Wildreben Vitis vinifera subsp. sylvestris in Deutschland.

Unterschiede zwischen Wild- und Kulturreben

Nimmt man eine Wildrebe in Kultur und erzieht und schneidet sie wie einen kultivierten Rebstock, ist der Unterschied zwischen kultivierten und wilden Reben gar nicht so groß. Der wesentlichste Unterschied besteht in der so genannten Zweihäusigkeit, das heißt, die Rebstöcke der Wildreben tragen nur funktional männliche oder nur funktional weibliche Blüten und sind so auf eine Fremdbefruchtung angewiesen. Allerdings gibt es auch noch einige funktional weibliche Kulturrebsorten, und etwa 1 bis 5% der Wildreben in noch bestehenden Beständen tragen zwittrige Blüten. Die Regel bei Wildreben sind jedoch zweihäusige Pflanzen mit eingeschlechtlichen Blüten, blauen Beeren, langgestreckten Internodien und langen funktionsfähigen Ranken. Die einhäusigen Kulturreben tragen zumeist Zwitterblüten (siehe dazu auch ausführlich unter Blüte).

Weitere Charakteristika von Wildreben sind relativ kleine, lockerbeerige Trauben und kleine Beeren mit vergleichsweise großen Samen, wobei die Trauben einiger Spezies durchaus mit kleinbeerigen mitteleuropäischen Sorten mithalten können. Auch genotypisch ist eine Unterscheidung zwischen europäischer Wildrebe und europäische Kulturrebe kaum eindeutig zu treffen. Bei den Wildarten spricht man aber nicht von Sorten, sondern von Formen und verwendet statt wohlklingender Namen häufig den Sammler, Sammelort und Nummern. Zwei solcher Formen sind Vitis vinifera ssp. sylvestris Ketsch 7 (nach dem Fundort Ketscher Rheininsel in Baden-Württemberg) und Vitis cinerea Arnold (nach dem amerikanischen Botaniker Charles Arnold).

Höchstwahrscheinlich sind die noch vorhandenen Wildrebenbestände jedoch nicht mehr als ursprünglich anzusehen. Aufgrund geographischer Isolierung und winziger Populationsgrößen weisen die mittel- und südeuropäischen Restvorkommen einerseits Inzesterscheinungen auf, die sich genotypisch in einem erhöhten Homozygotiegrad (Erbgleichheit) der Allele äußern. Zum anderen handelt es sich teilweise bereits um Pflanzen, in die sich Gene von Kulturreben oder Hybridsorten durch Pollenflug aus benachbarten Weinbergen spontan eingekreuzt haben dürften. Die Ähnlichkeiten zwischen rheinischen Wildreben und alten Kultursorten wie Pinot Noir, Riesling oder Traminer dürfen daher nicht falsch interpretiert werden. Vermutlich sind diese Ähnlichkeiten nicht auf die Selektion aus Wildrebenbeständen oder die spontane Einkreuzung von Wildrebenpollen in die Kulturbestände zurückzuführen. Vielmehr dürften sich die Kulturbestände in die Wildrebenbestände eingekreuzt haben.

Entwicklung der Rebsorten

Eine spontane (natürliche) Bildung neuer Sorten ohne Eingriff des Menschen findet bis heute statt. Oft findet man Spuren von einst als Unterlagen verwendeten Hybridreben der amerikanischen Spezies Vitis labrusca, Vitis riparia oder Vitis rupestris. Begünstigt durch die Widerstandsfähigkeit gegen Pilze konnten sich einige zu neuen Hybridreben ausbilden. Offensichtlich haben sich Hybriden-Gene auch bereits in einige europäische Wildreben eingekreuzt, denn man findet in den genotypischen Profilen mancher Wildrebenbestände von Rhein und Donau Allele, die sonst nur in Amerikaner-Reben vorkommen, jedoch in keiner der alten europäischen Sorten nachzuweisen sind. Wildrebenbestände unterliegen der natürlichen Evolution und Selektion. Deshalb zeichnen sie sich oft durch erhöhte Resistenz gegen einheimische Krankheiten oder negative Umwelteinflüsse aus. Die meisten amerikanischen Wildarten haben ja Abwehrmechanismen gegen die Reblaus und beide Mehltauarten entwickelt, während die Asiaten-Reben tiefe Frosttemperaturen überstehen mussten.

Die wilden Europäer-Reben hingegen mussten keine solche Resistenzen entwickeln, da bis Mitte des 19. Jahrhunderts noch kein Selektionsdruck auf Reblaus- oder Mehltaufestigkeit existierte und die Fröste in den tiefgelegenen Flusstälern nicht so streng ausfallen. Die heutigen Restpopulationen mit Ausnahme der noch größeren Bestände an der unteren Donau sind aufgrund winziger Stückzahlen und erschwerter Keimbedingungen kaum noch aktiv fortpflanzungsfähig. Ohne Fortpflanzung sind diese bereits überalterten Bestände an den Naturstandorten zwangsläufig zum Aussterben verurteilt, so dass evolutive Anpassungsprozesse an neue Schaderreger von dort nicht mehr zu erwarten sind. Deshalb werden resistente Wildspezies aus Amerika und Asien bis heute in der Resistenzzüchtung als Gendonatoren für pilzfeste Neuzüchtungen eingesetzt.

Historisch betrachtet stammen die ersten kultivierten Rebsorten wohl ursprünglich von vor etwa 7.500 Jahren am Kaukasusrand überlebenden Wildformen ab, aus denen sich über Jahrtausende hinweg durch Selektion, Weiterkreuzung, erneute Selektion und gezielte oder spontane Einkreuzungen die heute noch erhaltenen Kulturrebsorten entwickelt haben. Ab wann in der Vergangenheit gezielte Züchtungen (Kreuzungen) erfolgten, ist nicht bekannt. Wohl vor bereits 9.000 Jahren wurden Wildreben von steinzeitlichen Menschen gesammelt und genutzt, das beweisen in Kleinasien gefundene Traubenkerne. Die eigentliche Domestizierung, das heißt der Anbau von Kultursorten für die Weinherstellung hat wohl vor sechs- bis achttausend Jahren in Transkaukasien am südlichen Kaukasusrand sowie in Mesopotamien begonnen. Nach neuesten Forschungen ist die Weinbaukultur mit Kulturreben im Südosten von Anatolien nicht weit entfernt des Ararat in der heutigen Türkei entstanden.

Ausbreitung der kultivierten Reben

Von dort hat sich der Weinbau nach Westen (Anatolien, Mittelmeer, Balkan/Donauländer) und Süden (Mesopotamien, Jordantal, Ägypten) und Osten (Iran, Afghanistan, China) ausgebreitet, wo die Weinkultur durch die antiken Hochkulturen der Ägypter, Assyrer, Babylonier, Hethiter, Perser und Sumerer verfeinert wurde. Vermutlich sind in jedem historischen Anbaugebiet zu unterschiedlichen Zeiten immer wieder neue Sorten durch Sämlingsaussaat und Selektion entstanden. Sicherlich sind einige dieser antiken Rebsorten durch Alexander den Großen (356-323 v. Chr.) und andere vielleicht vor ihm nach Südeuropa eingeführt und von den Griechen, Phönikern und Römern angebaut und weiterverbreitet worden. Wahrscheinlich haben die indogermanischen Völker der Kelten in Gallien und auf dem Balkan bereits über regional klimaangepasste Sorten für den Weinbau verfügt, lange bevor das römische Imperium errichtet wurde. Der bronzezeitliche Fernhandel hat zur allgemeinen Ausbreitung von Rebsorten aus Kleinasien und dem Mittelmeerraum beigetragen.

Wildreben sind wie schon erwähnt in der Regel zweihäusig. Um Früchte an weiblichen Pflanzen zu erzeugen, braucht man Bestäuberpflanzen in der Nachbarschaft. Vermutlich wurden die seltenen Fälle von zwittrigen und großtraubige weibliche Pflanzen in den Wildrebenpopulationen gezielt heraus selektiert und in den Gärten zusammen mit importierten Sorten weiterkultiviert,mglw. bereits in früher Zeit miteinander gekreuzt und wieder ausgesät, bis ertragreichere Sorten mit zwittrigen Blüten gezüchtet waren. Durch die Zwitterblüten wird der kultivierte Rebstock zum Selbstbefruchter, womit ein regelmäßiger Ertrag gesichert ist. Heute umfassen die Sorten der Kulturrebe Vitis vinifera ssp. vinifera fast nur noch zwittrige und einige alte weibliche Rebsorten. Wildreben werden heute gerne als Zierreben auf Wänden oder Pergolen verwendet. Die Bilder zeigen amerikanische (Vitis riparia) und asiatische Spezies (Vitis coignetiae) im Schloss Sanssouci in Potsdam (Brandenburg).

Wildreben - Vitis riparia und Vitis coignetiae inm Schloss Sanssouci in Potsdam

Vielleicht sind die im Balkanraum noch in großer Menge erhaltenen, rein weiblichen Rebsorten ein beredtes Zeugnis dieser vielleicht schon sehr alten Zuchttradition. Schriftlich dokumentiert sind gezielte Befruchtungen von Muttersorten mit Pollen ausgesuchter Vatersorten, anschließender Aussaat und Sämlingsselektion allerdings erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts, zunächst für England und Frankreich, später zunehmend für ganz Europa. Wahrscheinlich haben sich aber schon bereits die oben erwähnten antiken Hochkulturen mit gezielten Kreuzungs-Züchtungen beschäftigt und die Römer die Kenntnisse übernommen, aber spätestens nach dem Zusammenbruch des Römischen Reiches ging dieses wohl nie schriftlich fixierte Wissen während den Wirren der Völkerwanderung und im wissenschaftsfeindlichen Mittelalter leider verloren.

weiterführende Informationen

Siehe bezüglich des Themenkreises auch unter Antike Rebsorten und Reben-Systematik. Eine umfassende Aufstellung relevanter Stichwörter zum Thema Rebsorte ist unter dem Stichwort Weinrebe enthalten.

Vitis vinifera sylvestris links: Von Javier martin - Eigenes Werk, Gemeinfrei, Link 
Vitis vinifera Sylvestris rechts: Vine to Wine Circle
Wildreben Rheininsel: Von AnRo0002 - Eigenes Werk, CC0, Link 
Schloss Sanssouci: FassadenGrün

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Thorsten Rahn

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Thorsten Rahn
Restaurantleiter, Sommelier, Weindozent und Autor; Dresden

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