wein.plus
ACHTUNG
Sie nutzen einen veralteten Browser und einige Bereiche arbeiten nicht wie erwartet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser.

Anmelden Mitglied werden

Züchtung

croisement (F)
breeding (GB)
coltivazione (I)

Vermutlich beschäftigten sich bereits die alten Hochkulturen der Assyrer, Ägypter, Babylonier, Chinesen, Perser und Phöniker mit der bewussten Züchtung von Pflanzen und damit auch Rebsorten auf der Basis von Wildreben. Dass man durch Samenaussaat neue Sorten bekommen konnte, war wohl schon sehr lange bekannt. Vermutlich haben die Perser und später die Araber im frühen Mittelalter bereits gezielt großbeerige Tafeltrauben gezüchtet, die im ganzen Mittelmeerraum bis Spanien Verbreitung gefunden haben. Die moderne Züchtung als bewusste, manuell herbeigeführte Kreuzung zweier Elternsorten unter gezielter Verwendung von väterlichen Pollen setzte im christlichen Europa wohl erst mit dem Beginn der botanischen Systematik ein, für die Carl von Linné (1707-1778) und Charles Darwin (1809-1882) die wissenschaftlichen Grundlagen legten. 

Beginn gezielter Züchtungs-Aktivitäten

Neue Rebsorten durch gezielte Züchtungs-Aktivitäten wie Samenaussaaten oder Kreuzungen sind ab dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts besonders in den Treibhäusern Englands entstanden. Das waren zum Beispiel die Tafeltrauben-Sorten Foster’s White Seedling und Lady Downe’s Seedling. Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden in Frankreich vor allem in den Gärtnereien von Anger (Loire) ebenfalls viele  neue Sorten wie die Madeleine Royale und Madeleine Angevine.

Professionell gekreuzt wurde dann ab dem zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts. Ein wahrer Boom für Neuzüchtungen von pilzfesten Hybridsorten und reblausresistenten Unterlagen erfolgte im Zusammenhang mit der Reblaus- und Mehltau-Katastrophe ab den 1870er-Jahren besonders in Frankreich, wobei mengenmäßig die Züchter Georges Couderc (1850-1928) und Albert Seibel (1844-1936), sowie der Rebzuchtbetrieb Seyve-Villard hervorzuheben sind. Nach dem großen Erfolg des Müller-Thurgau wurden große Mengen neuer Rebsorten nach dem Ersten Weltkrieg auch in Deutschland kreiert. Dies führte zu Sorten wie Bacchus, Domina, Dornfelder, Dunkelfelder, Huxelrebe, Kerner, Scheurebe, Siegerrebe und vielen anderen mehr.

Züchtungsziele

Das generelle Züchtungsziel im modernen Weinbau ist es, Rebsorten mit bestimmten positiven, gewünschten Eigenschaften und Merkmalen zu erzeugen. Neue Rebsorten mit besseren oder teilweise auch vollkommen neuen Eigenschaften kann man nur auf generativem (geschlechtlichem) Weg durch Kreuzungs-Züchtung erzeugen: Dabei werden zwei Rebsorten mit erwünschten elterlichen Eigenschaften miteinander gekreuzt und aus den ausgewachsenen Sämlingen solche Pflanzen herausselektiert, die der angestrebten Idealsorte am besten entsprechen. In der Erhaltungs-Züchtung werden bereits bestehende Sortenbestände mit degenerativen oder virösen Erscheinungen dadurch aufgebessert, indem man die wüchsigsten, fruchtbarsten und gesündesten Rebstöcke herausselektiert. Diese gesunden und virusfreien Einzelrebstöcke werden dann auf vegetativem (ungeschlechtlichem) Wege massenhaft weitervermehrt, während die degenerierten, unfruchtbaren Rebstöcke im Weinberg eliminiert und durch die vervielfältigten gesunden Klone in Spitzenqualität ersetzt werden (Klonen-Züchtung).

Hat man eine Pflanze mit den erwünschten Eigenschaften entdeckt und herausselektiert, kann die Vervielfältigung dieses durch nur eine einzige Pflanze repräsentierten Zuchterfolgs durch vegetative Vermehrung über Stecklinge erfolgen, um in Rebschulen genügend Klonkopien für die Bestockung der Weingärten zu erzeugen. Durch die extrem ausgeprägte Heterozygotie (Spalterbigkeit) im Art-Genom der Weinrebe spalten durch Samenaussaat vermehrte Pflanzen wieder neu auf und weisen somit nicht mehr die selektierten Eigenschaften der Mutterpflanze auf. Deshalb ist die vegetative Vermehrung die einzige Möglichkeit, einen selektierten Sortentyp zu erhalten und unverändert zu multiplizieren (siehe dazu detailliert unter Blüte).

Für die Erteilung des Sortenschutzes für neu gezüchtete Rebsorten oder selektierte Klone in Europa oder den einzelnen Ländern sind die von der EU gegründete Sortenschutzstelle CPVO (Community Plant Variety Office) bzw. die nationalen Behörden zuständig. Es gibt im Wesentlichen vier unterschiedliche Züchtungs-Strategien, die zum Teil auch in Kombination hintereinander angewendet werden. Das sind Kreuzungs-, Auslese- oder Selektions-, Mutations- und Erhaltungs-Züchtung.

Kreuzungs-Züchtung

Darunter versteht man die Neuzüchtung von Rebsorten durch Kreuzung von zumindest zwei und manchmal auch mehrerer Elternsorten, indem man ein Kreuzungsprodukt nochmals (ggf. mehrmals) kreuzt. Es handelt sich jedenfalls um eine generative (geschlechtliche) Vermehrung. Die bereits oben erwähnte Heterozygotie der Rebe bewirkt, dass bei den Nachkommen auch andere Eigenschaften als bei den Eltern zum Tragen kommen. Dieses prinzipiell positive Phänomen nennt man Heterosiseffekt. In der Regel handelt es sich bei den Eltern um verschiedene Sorten, wodurch negative Inzuchteffekte vermieden werden. In den Beeren der Muttersorte (dies ist immer die erstgenannte Sorte) reifen die zur Aussaat bestimmten Kerne.

Die Vatersorte liefert die Pollen zur Befruchtung der Eizellen und Samenanlagen (durch spezielle DNA-Analysen kann übrigens die Kreuzungsrichtung bestimmt werden). Ziel ist es, aus der Nachkommenschaft solche Pflanzen zu selektieren, die die gewünschten Merkmale am besten ausprägen oder idealerweise die besonderen Vorteile der zwei Elternsorten in sich vereinigen. Häufige Zuchtziele sind höheres Mostgewicht, später Austrieb, früherer Reifezeitpunkt, Lockerbeerigkeit, Verträglichkeit für bestimmte Bodentypen, höhere Widerstandsfähigkeit gegen klimatische Bedingungen wie zum Beispiel Frost, Dürre und Wasserstress, sowie Resistenz gegen verschiedene Pilzkrankheiten wie Botrytis, Echter und Falscher Mehltau.

Züchtung - Riesling x Madeleine Royale = Müller-Thurgau

Intraspezifische und Interspezifische Kreuzung.

Erfolgt die Kreuzung mit zwei Rebsorten der gleichen Spezies wie zum Beispiel der europäischen Vitis vinifera, spricht man von einer Intraspezifischen (innerartlichen) Kreuzung. Handelt es sich aber um zwei verschiedene Spezies, zum Beispiel Vitis vinifera mit Vitis labrusca, spricht man von einer Interspezifischen Kreuzung. In diesem Fall nennt man das Kreuzungsergebnis Hybride (Mischling). Alle Arten der Untergattung Vitis sind miteinander kreuzbar und die Nachkommen sind auf Grund gleicher DNA-Struktur (2 x 19 =38) fortpflanzungsfähig. Kreuzungen der zur Untergattung Muscadinia zählenden Vitis rotundifolia (2 x 20 = 40) mit Spezies der Untergattung Vitis sind wegen der inkompatiblen Chromosomensätze schwierig und nur dann möglich, wenn Zweitere als Mutter verwendet werden. Aber auch dann finden sich unter solchen Nachkommen häufig sterile, missgebildete Exemplare ohne Fruchtansatz, was Zuchtlinien mit Muscadinia-Erbgut schwierig bis sogar unmöglich machen.

Kreuzungsvorgang

Beim Kreuzungsvorgang muss kurz vor Beginn der Blüte des als Mutter bestimmten Rebstocks eine Kastration seiner zwittrigen Einzelblüten erfolgen. Von einem oder auch mehreren seiner Gescheine werden sämtliche (noch nicht abgeworfenen) Blütenhüllen mit einer Pinzette entfernt und die Staubbeutel mit den Pollensäcken und darin enthaltenen Pollenkörnern (männliche Gameten) händisch abgezupft. Es bleiben somit nur die kahlen Fruchtknoten mit den weiblichen Narben übrig. Dann werden die so behandelten Gescheine mit Tüten abgedeckt, um eine spontane Selbst- oder Fremdbefruchtung durch frühzeitigen Pollenflug auszuschließen. Wenn die Blüte eingesetzt hat, werden die bereits vorher geernteten Pollen der Vatersorte in die Tüten gerieselt. Dann wird die Tüte geschüttelt, damit die herumfliegenden Pollenkörner an der Narbe festkleben können. Die Tüten bleiben bis zum Beginn der Fruchtbildung über das Geschein gestülpt.

Die Samen der sich daraus entwickelnden Beeren werden einer mehrwöchigen Stratifikationsphase (Kältebehandlung) unterzogen und dann auf einem Keimbeet zum Keimen gebracht. Da nie alle Samen auskeimen, werden immer mehrere hundert Kerne in die Erde eingelegt. Die 200 bis 400 herangezogenen Sämlinge aus der ersten Kreuzungsgeneration werden fachsprachlich als F1 bezeichnet, was 1. Filial- oder Tochter-Generation bedeutet. Diese zeigen in der Regel noch nicht die gewünschten Eigenschaften in befriedigendem Ausmaß, so dass aus dieser F1-Sämlingspopulation einige der vielversprechenden Kandidaten ausgewählt werden, um damit weitere Kreuzungen durchzuführen. Zur Verbesserung der Eigenschaften erfolgt eine Rückkreuzung (Rückzüchtung) mit einem für sehr gute Weinqualität ausgewählten Elternteil.

Durch oftmaliges Kreuzen und Selektieren in der F2- bzw. F3-Generation kann man letztlich unerwünschte oder negative Eigenschaften eliminieren (Verdrängungs-Kreuzung) bzw. neue positive Eigenschaften selektieren, bestehende erhalten oder in ihrer Ausprägung verstärken. Letzteres nennt man Transgression, wenn die Leistungsfähigkeit der Elternsorten (zum Beispiel Frühreife, Muskatgeschmack, Ertrag) von den Tochter-Sorten noch übertroffen wird. Der Gegensatz dazu ist eine Regression, das heißt die Rückbildung positiver Eigenschaften. In Ergänzung zur Kreuzung und Aussaat muss also auch ständig eine Selektion unter den Sämlingen erfolgen. In der Regel werden einige tausend Kreuzungs-Rebpflanzen benötigt, um alle positiven Merkmale für eine Nutzung als spätere Rebsorte auf hohem Niveau zu finden, die dann vermehrt wird.

Neuzüchtungen - Regent, Morio-Muskat, Zweigelt, Kerner

Rück- und Einkreuzungen

Für die Neuzüchtung moderner PIWI-Sorten (pilzresistent) werden interspezifische Kreuzungen (Spezies der europäischen Vitis vinifera mit amerikanischen oder asiatischen Spezies) durchgeführt, um die in Europäerreben nicht vorhandene Mehltau-Resistenz der Amerikanerreben in Vitis-vinifera-Sorten unter Beibehaltung der hohen Weinqualität einzukreuzen. Leider vererbt sich bei diesen interspezifischen Kreuzungen auch der unerwünschte Foxton der Amerikanerreben sehr leicht, der bereits in geringsten Konzentrationen schmeckbar ist. Deshalb müssen wiederholte Rück- und Einkreuzungen vorgenommen werden, um sich unter Beibehaltung einer möglichst hohen Pilzresistenz wieder an europäische Qualitätsstandards anzunähern.

Aus Zulassungsgründen sollte das Endprodukt keine typischen Hybrid-Merkmale mehr aufweisen. Dies sind kontinuierliche Rankenstellung, eine geschlossene Triebspitze oder ein höherer Gehalt des Farbstoffes Malvidin-Diglucosid. Idealerweise versucht man Vitis-vinifera-Sorten mit einem eingekreuztem Resistenz-Genkomplex zu züchten, wobei sich die Widerstandsfähigkeit gegen Pilze mit jeder Rückkreuzung mit Vitis-vinifera-Sorten wieder mehr und mehr abschwächt.

Evaluierung und Erprobung

Die Abstammung des am Ende des Kreuzungsprozesses neu kreierten und selektierten Sortensämlings wird durch ein Zuchtschema (Stammbaum) dargestellt, um die komplizierten und verflochtenen Kreuzungs-Schritte nachvollziehen zu können. Das Endergebnis - die neue Sorte - ist jedoch noch lange nicht für den Anbau in der Praxis tauglich, sondern es folgt ein jahrzehntelanges, sehr aufwändiges und mühevolles Evaluierungs-Verfahren, bis die neue Rebsorte zugelassen werden kann. Die Rebstöcke werden jahrzehntelang an mehreren Standorten erprobt und in ihren Eigenschaften laufend kontrolliert, bis sie nach durchlaufener und bestandener Prüfung zertifiziert werden und damit den Sortenschutz erhalten. Nach erfolgten Anbauprüfungen in den Ländern und Regionen erfolgt die regionale bzw. nationale Klassifizierung und Zulassung für den kommerziellen Anbau, die sich anfangs nur auf bestimmte Weinbaugebiete beschränken und viele Jahre andauern können. Nicht alle Sorten bestehen diese harten langen Prüfungen und nicht wenige müssen wieder zurückgezogen werden.

Selektions-Züchtung

Diese älteste Züchtungsmethode wird vom Menschen bereits seit Jahrtausenden angewendet. Dabei wurden auffällige Rebpflanzen mit interessanten Eigenschaften in Kultur genommen und über Stecklinge vegetativ weitervermehrt. Im heutigen Georgien wurden Traubenkerne von kultivierten Reben gefunden, die zwischen 5.000 und 7.000 v. Chr. datiert werden. Vermutlich wurde noch nicht gezielt bestäubt, jedoch dürfte die Aussaat von Rebsamen eine weit verbreitete Methode gewesen sein, um aus den ausgekeimten Sämlingen Rebsorten mit neuen Eigenschaften zu selektieren. Sicher sind auch immer wieder Sämlinge spontan ausgekeimt. Rebsorten mit zwittrigen Blüten wurden bevorzugt, da diese nicht fremd bestäubt werden mussten und einen sicheren Ertrag gewährleisteten. Es wird zwischen massaler Selektion und Klonen-Selektion unterschieden.

Bei der massalen Selektion (auch Feldselektion, frz. massale = massenhaft) werden bestimmte Rebstöcke mit gewünschten positiven Eigenschaften wie Reifezeitpunkt, Traubenform oder Resistenz (z. B. Frost, Dürre) in einem Weinberg zum Zweck der Reproduktion ausgewählt. Das können auch mehrere (viele) Rebstöcke sein. Von den selektierten Rebstöcken werden Reisige geschnitten und auf passende Unterlagen gepfropft. Damit werden dann tote, kranke oder aus anderen Gründen zu entfernende Rebstöcke im Weinberg ersetzt. So wird nach und nach ein Weinberg erneuert.

Im Gegensatz dazu wird bei der Klonen-Züchtung ein einzelner Rebstock ausgewählt (Mutterrebe), der in einer Rebschule dann vegetativ vermehrt und in vielen Weinbergen eingesetzt wird. Diese Form wird angewendet, wenn ein komplett neuer Weinberg angelegt werden soll und ist heute weithin üblich. Die Rebstöcke in einem Weinberg sind dann sozusagen alle genetisch zu 100% dentisch - eben Klone. Kritiker dieser Form beklagen den sich ergebenden Verlust der genetischen Vielfalt in solchen Monokulturen. Dem wird durch das Verwenden verschiedener Klone einer Rebsorte in einem Weingarten Rechnung getragen.

Mutations-Züchtung

Künstliche Mutationen können durch ionische bzw. radioaktive Bestrahlung oder biochemische Behandlung von Zellkulturen, Kallusgeweben, Samen, Pollenkörnern, Knospen und Stecklingen oder anderen regenerationsfähigen Pflanzenteilen des Rebstocks bewusst herbeigeführt werden. Häufig sind es isolierte Pflanzengewebe, die im Labor einer speziellen Behandlung unterzogen werden. Danach regeneriert man aus den Geweben neue Pflanzen, die auf ihre veränderten Eigenschaften hin evaluiert werden. Durch Behandlung mit Colchizin (giftiger Inhaltsstoff aus Herbstzeitlosen-Samen) können so zum Beispiel Pflanzen mit tetrapoliden (4n = 76) Chromosomensätzen erzeugt werden, die zwar ertragsstärker, jedoch auch anfälliger gegen Umweltstress sind. Diese Verfahren bedeuten jedoch zumeist manipulative Gentechniken und sind noch sehr umstritten.

Im Weingarten können durch spontane und zufällige Mutationen in Knospen oder Zelllinien morphologisch veränderte Triebe auswachsen, aus denen durch vegetative Vermehrung wieder neue Rebsortenklone abgezweigt werden können. Besonders bekannt hierfür sind zum Beispiel die Sortenkomplexe sehr alter Sorten wie Pinot, TraminerChasselas oder Muskateller. Diese haben zahlreiche mutationsbedingte Varianten und somatische Chimären hervorgebracht, die sich visuell oder geschmacklich und bei höherem Aufwand meist auch genotypisch unterscheiden lassen (Klonvarianten). Durch Klonselektion werden solche natürlich entstandenen Mutanten visuell ausgelesen und durch vegetative Vermehrung als „unechte” Sorte mit eigenem Namen oder als neuer Klon erhalten und vervielfältigt. In diesem Fall nutzt man natürliche Vorgänge der Natur.

Erhaltungs-Züchtung

Neben der Neuzüchtung und Auslese neuer Rebsorten aus Sämlingen oder der Selektion visuell auffälliger Klonmutanten spielt die weniger spektakuläre Erhaltungs-Züchtung eine wichtige Rolle. Jeder Rebstock hat seine spezifische Lebensgeschichte, in der er klimatischen Kapriolen, den Angriffen von zahlreichen Rebstock-Feinden, sowie zahlreichen mechanischen Eingriffen unterworfen war. Auch findet ein sortenspezifischer Alterungsprozess statt, der zur Reduktion der Abwehrkräfte führt und Infektionen mit Viren, Bakterien oder Pilzen begünstigt. All dies führt zu einem zwar langsamen, aber stetigem Leistungszerfall (Degeneration), dem Abbau der Wurzel-Mykorrhiza (Pflanzen-Pilz-Symbiose) und zunehmender Rebenmüdigkeit.

Selektion & Vermehrung

Die Produktions- und Wuchskraft der alten Rebstöcke in vielen alten Anlagen um die Jahrhundertwende war deshalb bereits sehr beeinträchtigt. Um die Erträge der Weinberge wieder zu verbessern, begannen einige Rebexperten wie zum Beispiel Gustav Adolf Froelich (1847-1912) ab Ende des 19. Jahrhunderts mit der positiven Auslese von wüchsigen, gesunden und ertragreichen, sowie zusätzlich blühfesten und nicht zum Verrieseln neigenden Rebstöcke. Zuerst waren es Silvanerbestände, später folgten auch andere Sorten wie Riesling und Spätburgunder (Pinot Noir). Die „besten” Rebstöcke in den Weingärten wurden nach visuellen Kriterien ausgewählt, markiert und über Stecklingsvermehrung weitervermehrt. Man pflanzte diese Primärklone in spezielle Anlagen zur weiteren Beobachtung unter einheitlichen Wuchsbedingungen.

Daraus hat sich im Laufe der Zeit die genormte Prozedur der Einzelstock-Selektion entwickelt. Dabei wird die Güte der Primärklone im Versuchsweingarten über fünf Jahre hinweg aufgezeichnet und bewertet (bonitiert). Ein Einzelstock, der fünfmal die beste Bewertung (5 Punkte) erhalten hat, wird danach „Elitestock” genannt und weitervermehrt. Heute muss ein solcher Stock auch das Kriterium der Virusfreiheit erfüllen, wozu standardisierte ELISA-Tests zur Testung auf rebenspezifische Virentypen zur Verfügung stehen. Von diesem Elitestock erzeugt man durch Veredelung zehn Pfropfreben, die man wieder fünf Jahre lang beobachtet und prüft (Zwischenprüfung). Wenn diese Prüfung in allen Belangen (Ertragssicherheit, Blütefestigkeit, Ertragshöhe, Weinqualität etc.) positiv war, kommt es mit mindestens 100 Stöcken zur Hauptprüfung. Diese erstreckt sich über fünf Jahre mit jeweiliger statistischer Auswertung. Haben diese selektierten Rebstöcke in allen Disziplinen eine positive Bewertung erhalten, so wird dieses selektierte Material Klon genannt und erhält eine Zulassungsnummer.

Diese nach Gesundheits- und Ertragskriterien positiv selektierten Ertragsklone unterscheiden sich zumeist kaum hinsichtlich ihrer morphologischen Merkmale, sondern vor allem in meist nur statistisch über die Jahre erfassbaren Eigenschaften wie unterschiedliche Blühfestigkeit, Anzahl der Trauben am Rebstock, durchschnittliche Traubengröße oder Beerendichte. Auch Wuchsmerkmale wie aufrechter oder seitlicher Wuchs, der Austriebszeitpunkt, die Dauer der Reifungsperiode, der Zeitpunkt des Vegetationsabschlusses, die Holzreife und weitere quantitative, saisonal beeinflusste Merkmale werden berücksichtigt. Das Prüfverfahren bis zur Klonzulassung dauert 15 bis 20 Jahre. Alle Klone müssen getestet und virusfrei sein.

Zulassung

Wie bei einer Neuzüchtung müssen die geprüften Klone von amtlichen Stellen zugelassen werden. Mit der Zulassung verpflichtet sich der Züchter, den Klon züchterisch zu betreuen und die Erhaltung der Klongesundheit und spezifischen Kloneigenschaften zu garantieren. Erst dann werden neue Klone in die Sortenliste mit zertifiziertem Klonmaterial aufgenommen. Nun dürfen sie in kommerziellen Rebschulen vegetativ vermehrt werden, wo sie vom Winzer gekauft und in die Weingärten gepflanzt werden. Um die guten Eigenschaften dieser Pflanzen zu erhalten, ist eine ständige Beobachtung, Virus- und Nematoden-Kontrolle sowie gegebenenfalls die positive Selektion in den Klon-Muttergärten vorzunehmen.

weiterführende Informationen

Siehe zum Themenkomplex auch unter Blüte, Chromosom, DNA, Inzucht-Depression, Kreuzung, Neuzüchtung, Reben-Systematik und Rebsorten-Bestimmung, sowie Aufstellungen relevanter Stichwörter unter Rebfläche und Weinrebe.

Ursula Brühl, Doris Schneider, Julius Kühn-Institut (JKI)

Stimmen unserer Mitglieder

Sigi Hiss

Es gibt unübersichtlich viele Quellen im Web, bei denen man sich Wissen über Wein aneignen kann. Doch keine hat den Umfang, die Aktualität und die Richtigkeit der Informationen des Lexikons von wein.plus. Ich benutze es regelmäßig und verlasse mich darauf.

Sigi Hiss
freier Autor und Weinberater (Fine, Vinum u.a.), Bad Krozingen

Das größte Weinlexikon der Welt

26.384 Stichwörter · 46.992 Synonyme · 5.323 Übersetzungen · 31.718 Aussprachen · 202.891 Querverweise
gemacht mit von unserem Autor Norbert Tischelmayer. Über das Lexikon

Veranstaltungen in Ihrer Nähe

PREMIUM PARTNER